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Ökonomien des Krieges vonThomas Seibert

Entwicklungspolitik, Entwicklungszusammenarbeit und international(istisch)e Solidarität hatten immer schon damit zu tun, daß die sozialen Verhältnisse des sog. Südens in einem extremen Maß gewaltdurchherrschte Verhältnisse sind: bestimmt durch die Gewalt der kolonialen Ausbeutung, der antikolonialen Befreiungskämpfe, des materiellen Elends und die daraus resultierende alltägliche, oft spezifisch sexistische Gewalt.
Bis in die frühen 90er Jahre hinein waren die Kriege in Afrika, Asien und Lateinamerika Teil der von der Drohung des Nuklearkriegs überschatteten Blockkonfrontation. Antikoloniale Befreiungsbewegungen kämpften um nationale Unabhängigkeit bzw. für den Sturz diktatorischer Regime. Um den Preis der Einordnung in dessen machtpolitisches Kalkül wurden sie dabei durch den staatssozialistischen Block unterstützt. Um den sowjetischen Einfluß zu hemmen, rüsteten die westlichen Staaten die von den Befreiungsbewegungen bekämpften Diktaturen oder Organisationen der Konterguerilla auf. Eine dritte Position nahm die Bewegung der "blockfreien Länder" ein, in der dem Jugoslawien des Marschall Tito eine führende Rolle zukam. In allen diesen Konflikten war nie eindeutig auszumachen, in welchem Maß sie Befreiungskämpfe und in welchem Maß sie Stellvertreterkriege der Systemkonkurrenz waren.
Das Ende der Blockkonfrontation wurde zunächst als Beginn einer Friedensepoche begrüßt: auf die heißen Kriege im kalten Krieg sollte der weltweite Sieg von Demokratie, Entwicklung und Zivilität folgen. Knappe zehn Jahre später ist von diesem Optimismus nichts geblieben. Statt globaler Demokratisierung und Zivilisierung breiten sich weltweit militärische Konflikte aus, die zunehmend jeder Kontrolle entgleiten. Allein in Afrika tobten schon Ende der 90er Jahre nicht weniger als 15 flächendeckende militärische Konflikte. Der wesentliche Unterschied der neuen Kriege aber ist, daß emanzipatorische Parteien und Entwicklungsperspektiven kaum noch auszumachen sind.
Was chaotisch zu sein scheint, entwickelt sich nicht ohne eigene Logik. Hintergrund ist der sog. "Globalisierungsprozeß", der eben gerade nicht alle Länder der Welt in einen umfassenden politisch-ökonomischen Raum integriert, sondern primär ausschließenden Charakters ist. Tatsächlich muß eher von einer "Archipelisierung" der Welt gesprochen werden. In deren Verlauf werden die noch prosperierenden Zonen der Weltmarktproduktion von wachsenden Gebieten umschlossen, die von der Dynamik des Weltmarkts abgekoppelt werden. Dabei sind mittlerweile nicht nur der Staatssozialismus sowjetischen Modells, sondern nahezu sämtliche Strategien "nachholender Entwicklung" gescheitert. Während vielen Ländern des Südens und des Ostens jede eigenständige Entwicklungsperspektive genommen wird, schließen sich die des Nordens in einem System zusammen, in dem der Waren-, Dienstleistungs-, Informations- und Kapitaltransfer von allen staatlichen Grenzen und Beschränkungen entbunden wird. Dabei sichern die Staaten des Nordens ihre Macht über ein immer enger verwobenes Geflecht supranationaler Institutionen (G7, IWF, Weltbank, OECD, WTO und NATO). Bedroht wird die Dominanz der G7-Staaten allein von innen her: Die "Neue Weltordnung" ist zwar insoweit "unipolar", als die Führungsmacht USA seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion von keiner anderen Macht der Welt ernsthaft bedroht werden kann. De facto aber zerfällt das eine Machtzentrum in eine aus den USA, der EU und Japan gebildete "Triade". Deren Mitglieder sind zwar zur Sicherung ihrer gemeinsamen weltweiten Dominanz aufeinander angewiesen, stehen strukturell aber in Konkurrenz zueinander.
Der vom dominanten Staatenblock und den mit ihm alliierten transnationalen Konzernen vorangetriebene Globalisierungsprozeß hat im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte zu einer historisch nie zuvor gekannten Verarmung von Millionen, zur Desintegration ganzer Gesellschaften und zu einer Massenmigration täglich wachsenden Ausmaßes geführt. Während nach dem neuesten Bericht bspw. der Interamerikanischen Entwicklungsbank ein Drittel der lateinamerikanischen Bevölkerung, das sind 150 Millionen Menschen, von weniger als 2 Dollar täglich leben müssen, konzentrieren sich 40% des Bruttosozialprodukts in der Hand von 1% der Bevölkerung. Die Kaufkraft eines durchschnittlichen lateinamerikanischen Gehalts ist um 27% niedriger als 1980. In Asien und Afrika ist die Lage z.T. noch dramatischer. Nach dem Jahresbericht des UNDP von 1998 übertrifft der Reichtum der drei reichsten Männer der Welt das Bruttoinlandsprodukt der 48 ärmsten Länder der Welt. 70% der weltweiten Investitionen und des Welthandels werden von den 200 größten transnationalen Konzernen kontrolliert. Dafür findet der vielgepriesene "freie" Markt im untersten Segment der Welt gar nicht mehr statt. Der Anteil der ärmsten 20% der Weltbevölkerung an Produktion, Auslandsinvestitionen, Export und Kommunikation liegt bei unter 1%, während der Anteil der reichsten 20% der Weltbevölkerung bei 70-90% liegt. Diese Entwicklung findet ihre letztlich nicht mehr zu überbietende statistische Konkretion in der durchschnittlichen Lebenserwartung. Während sie zwischen 1975 und 1997 in den 31 reichsten Ländern der Welt um ein Fünftel gestiegen ist, fiel sie im selben Zeitraum in 18 Ländern der Welt, und zwar in 10 Ländern Afrikas und 8 Ländern der ehemaligen Sowjetunion bzw. Osteuropas. Am drastischsten fiel diese Entwicklung in Afrika aus, wo die durchschnittliche Lebenserwartung in Botswana von 52 auf 47, in Simbabwe von 51 auf 44, in Sambia von 47 auf 40 Jahre gesunken ist (vgl. UNDP-Bericht über die menschliche Entwicklung).
Der zentrale Mechanismus, über den die Ausbeutung und zugleich der Ausschluß des Südens und des Ostens beständig reproduziert werden, ist die Verschuldung, die von weniger als 100 Milliarden Dollar im Jahr 1970 auf über 2000 Milliarden Dollar im Jahr 1997 angestiegen ist. Da allein der Schuldendienst oftmals zwischen 30% und 50% ihrer Staatsbudgets frißt, sind die Entwicklungsstaaten fortlaufend auf neue Kredite angewiesen, wenn sie ein Minimum an Handlungs- und Planungssouveränität bewahren wollen. Der dominante Staatenblock und der von ihm kontrollierte IWF aber binden neue Kredite an knallhart neoliberale "Strukturanpassungsprogramme". Diese zwingen die Entwicklungsstaaten zum fortlaufenden Abbau ihrer ohnehin unzureichenden sozialstaatlichen Einrichtungen und zugleich zum Ausverkauf der Filetstücke ihrer Volkswirtschaften an die transnationalen Konzerne. Weil die vor allem für Afrika, aber eben nicht allein für Afrika kennzeichnenden neuen Kriege ein unmittelbares Resultat dieses Prozesses sind, möchte ich sie im folgenden als "Ökonomien des Krieges" beschreiben, d.h. als eine eine neue Weise, in der Gesellschaften ihre Produktion und Reproduktion regulieren. Ich werde dies in drei Hinsichten tun:

in Hinsicht auf Afrika als den Sonderfall, der wohl eher zum Modellfall werden wird
in Hinsicht auf den für uns naheliegendsten Fall, den Fall Jugoslawien
und in Hinsicht auf den Überfall der NATO auf Jugoslawien und die Perspektiven, die sich aus ihm ableiten lassen.

Der Sonderfall, der keiner ist: Afrika
Der Zusammenbruch der Entwicklungsstaaten der sog. "Dritten Welt" fällt nirgendwo drastischer aus als in Afrika. Immer wieder berichten die Massenmedien über großflächige ethnische Säuberungen und scheinbar grund- und ziellose Massaker im Rahmen zahlloser Auseinandersetzungen: Angola, Äthiopien, Kongo, Ruanda, Somalia, Sudan, Sierra Leone und, und und. "Erklärt" wird dies durch ein weit verbreitetes ethnizistisches bzw. rassistisches Deutungsmuster, nachdem unterschiedliche ethnische Gruppen in der Enge eines einzelnen Nationalstaats eben nicht miteinander "könnten" und deshalb früher oder später übereinander herfallen müßten. Die besondere Grausamkeit der afrikanischen Kriege wird dann ebenso schlicht wie einleuchtend mit der grausamen Natur ‘des’ Afrikaners erklärt. Zu deren Erläuterung dienen Berichte über den moralischen Verfall "macht- und blutgieriger Potentaten" wie etwa des ugandischen Diktators Idi Amin oder des zentralafrikanischen Kaisers Bokassa I. Solcherart "Aufklärung" wirkt umso überzeugender, wenn der Tyrann sich früher als "Marxist" bezeichnete und seine Opfer - wie gegenwärtig der simbabwische Diktator Robert Mugabe - vornehmlich unter der weißen Bevölkerungsminderheit aussucht. Ergänzt wird die massenmediale Desinformation durch die einander in einer Art Hitparade der Katastrophe ablösenden humanitären Interventionen, in denen die Rettung ausgehungerter schwarzer Babys durch weiße Hubschrauberpiloten alle Vorurteile bestätigt, die ein durchschnittlicher Mitteleuropäer sowieso schon über "den Neger" hegt.
Wahr ist daran immerhin, daß die Verelendung der meisten afrikanischen Staaten so weit vorangeschritten ist, daß über humanitäre Hilfseinsätze verteilte Güter zu einem wesentlichen Moment ihrer Ökonomie geworden sind.
Tatsächlich aber resultiert die afrikanische Krise aus der besonderen Geschichte der Dekolonisierung Afrikas - und natürlich, was ich hier nicht ausführen kann, schon aus der durch rücksichtslose Rohstoffausplünderung und Sklavenhandel dominierten Kolonialgeschichte. Die afrikanischen Entwicklungsstaaten haben zu keiner Zeit die Souveränität erreicht, die bspw. die lateinamerikanischen Staaten erreichen konnten; nicht wenige Politologen bezeichnen sie deshalb grundsätzlich lediglich als "Quasi-Staaten" (vgl. Peter Lock 1997). Deren Kern waren von vorneherein Armee und Polizei. Die Offizierskorps stammten größtenteils aus den kolonialen Machtapparaten. Formell unabhängig geworden, bestand ihre "Politik" aus der privaten Aneignung der Erträge der Exportwirtschaft. Extraprofite verschafften sie sich durch planmäßige Ausnutzung der strategischen Rivalitäten der Blockkonfrontation; die dabei eingeworbenen Ressourcen kamen wiederum ihrem Privatvermögen sowie den Apparaten von Militär und Polizei zugute. Um sich ein Mindestmaß an politischer Legitimation zu verschaffen, etablierten sie ein nach Clanzugehörigkeit ausgerichtetes klientelistisches Versorgungssystem. Da andere staatliche Institutionen kaum ausgebildet wurden, blieben die lokalen Strukturen der Clangesellschaft die einzig verläßliche Ressource für Vertrauen, Gerechtigkeit und soziale Sicherheit. Insofern blieb der afrikanische Entwicklungsstaat gegenüber der eigenen Bevölkerung "eine antagonistische Partei, die ausschließlich die Interessen einer an der Macht befindlichen Minderheit verfocht" (Lock a.a.O.).
Mit dem Ende der Blockkonfrontation geriet dieses "Entwicklungsmodell" in die Krise. Im Kampf um die Restressourcen ihrer heruntergewirtschafteten Länder spalten sich die Führungseliten, die amtierenden Regimes und in der Regel von unterlegenen Konkurrenten geführte "Rebellenbewegungen" nehmen die eigene Bevölkerung zur Geisel. Gleichzeitig stellt der bankrotte "Quasi-Staat" die Soldzahlungen an Militär und Polizei ein, die Truppen versorgen sich durch marodierende Überfälle auf die Bevölkerung. Dabei geht das Gewaltmonopol vom "Staat in Auflösung" auf warlords über, die in "ihren" Gebieten teilweise offen sklavenhalterische Produktionsregime errichten. Da in vielen afrikanischen Ländern mehr als die Hälfte aller Jugendlichen erwerbslos sind, brauchen sich weder die regulären noch die irregulären Truppen um Zulauf Sorgen zu machen: der Dienst in der Armee oder in den Banden der warlords ist für große Teile der männlichen Bevölkerung zur einzigen Verdienstquelle - und zwar gleichgültig, ob der Erwerb aus Soldzahlungen oder aus unmittelbarem Raub stammt. Überhaupt wird die räuberische Aneignung der Mittel des Überlebens - einschließlich der räuberischen Aneignung von Frauen - zur Grundlage der gesellschaftlichen Reproduktion. Zwischen diesen mehr als unübersichtlichen Fronten kommt privaten Söldnerarmeen als einer auf eigene Rechnung operierenden "Dritten Kraft" eine immer wichtigere Rolle zu.
Das aber heißt: Der Krieg ist in den afrikanischen Gesellschaften nicht mehr die irreguläre Unterbrechung der friedlichen Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens, sondern eine eigengesetzlich regulierte "Ökonomie des Bürgerkriegs" (J. Rufin) geworden. Natürlich waren Kriege immer schon auch ein Geschäft, und natürlich wurden Kriege immer schon wesentlich aus ökonomischen Gründen geführt. Die neueren afrikanischen Kriege aber sind gar nichts anderes mehr als eine auf Dauer gestellte Form der Ökonomie.
Ein Beispiel dafür ist die Volksrepublik Angola, aufgrund ihrer Bodenschätze virtuell das viertreichste Land der Welt. Nach der Befreiung von der portugiesischen Kolonialherrschaft rüsteten die USA und Südafrika die ursprünglich maoistische Guerillaorganisation UNITA zur Konterguerilla gegen die regierende MPLA auf, die einen pro-sowjetischen Kurs verfolgte und besonders von Kuba unterstützt wurde. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg ruinierte das Land, es entstand eine vollkommen durchmilitarisierte Gesellschaft, in der eine zivile Entwicklung schon allein durch die Millionen von Minen verhindert wird, die den Gang aufs Feld oder zur nächsten Wasserstelle zum lebensgefährlichen Unternehmen machen. Was überhaupt an ziviler Infrastruktur bestand, ist längst zerstört. MPLA und UNITA sind zu Organisationen degeneriert, die die räuberische Aneignung des Reichtums durch ihre Führungseliten und die schreckensherrschaftliche Unterwerfung einer verelendeten und traumatisierten Bevölkerung sichern.
Seit 1961 hat dieser Krieg über 500.000 Menschen das Leben gekostet, Zehntausende sind nach Minenunfällen verkrüppelt. 65% der Bevölkerung leben in absoluter Armut, täglich verhungern 200 Menschen. 11 Millionen Menschen mussten infolge von Kriegshandlungen fliehen oder wurden vertrieben.
Mit dem Ende der Blockkonfrontation entfiel auch die Alimentierung durch die jeweiligen Hintermächte. Die UNITA finanziert sich seither durch die unter sklavenhalterischen Bedingungen organisierte Ausplünderung der Diamantenvorkommen Angolas. Zwischen 1992 und 1998 erzielte sie Gewinne in Höhe von mindestens 3,7 Milliarden US-Dollar, der Großteil wird auf den Märkten Europas realisiert.
Umgekehrt finanziert sich die MPLA durch den Ölexport. Angola verfügt vermutlich über die größten Erdölvorkommen der Welt, die Gewinne machen 94% der Exporterlöse aus, täglich wird Öl im Wert von 11 Millionen US-Dollar gefördert. Da die Regierung aufgrund ihrer gigantischen Rüstungseinkäufe hochverschuldet ist, verpachtet sie das Erdöl im Voraus und finanziert sich so durch die erwarteten Erlöse der Zukunft. Hauptabnehmer sind Exxon, Chevron und Elf Aquitaine.
An der Seite der Großkonzerne und der warlords sichern private Söldnerarmeen die Kontrolle über die Bodenschätze. Marktführer war lange Zeit die südafrikanische Sicherheitsagentur Executive Outcomes (EO), deren Angebotspalette sämtliche militärischen Dienstleistungen umfaßt, die im Bodenkrieg anfallen. 1994 eroberten die aus den Reihen der berüchtigten Koevot-Spezialeinheiten der früheren Apartheidarmee rekrutierten Söldner die Diamantenzentren Saurimo und Cafunfo von der UNITA zurück. Nutznießer war hier wie anderswo der Diamantenkonzern De Beers sowie die Firma Diamond Works, an der die Söldner selbst beteiligt sind. 1995 erzwang US-Präsident Clinton die Kündigung der Verträge mit EO, die daraufhin von der amerikanischen Söldneragentur MPRI übernommen wurden, die in engster Verbindung zum Pentagon steht.
Hier zeichnet sich ein neoliberalen Ordnungsvorstellungen angemessener Neo-Kolonialismus in public-private-partnership ab, dem es um die fortgesetzte Ausbeutung der Bodenschätze - Diamanten, Öl, Kupfer - und zugleich um eine quasi-polizeiliche Kontrolle über die warlords geht, denen die Mehrheit der Menschen solange überlassen werden, wie sie sich im Ernstfall dem Kommando des Weltmarktes fügen.
Daß dies so bleibt, dafür sorgen nicht zuletzt die Rüstungskonzerne der Staaten des Nordens und der internationale Waffenhandel. 1998 wurde mehr als ein Drittel des afrikanischen Bruttosozialprodukts für den Erwerb von Waffen ausgegeben. Nimmt man zu dieser Summe die Aufwendungen hinzu, die zur Tilgung der Schuldenlast erbracht wurden, und schließlich die Beträge, die ins Privatvermögen der Machteliten abflossen, hat man eine plastische Vorstellung von dem verschwindend geringen Anteil des gesellschaftlichen Reichtums, der der Sozial-, Bildungs-, Gesundheits und Umweltpolitik, mithin der Entwicklungspolitik, zur Verfügung steht.

Der Fall Jugoslawien
Vorgeblich um der terroristischen Vertreibungspolitik Einhalt zu gebieten, mit der das Belgrader Regime und seine Milizen Hunderttausende Menschen in die Flucht trieben, bombardierten die dominierenden Staaten des Nordens 1999 elf Wochen lang Serbien und das Kosovo. Dabei zerstörte die allen anderen Kriegsparteien unendlich überlegene Militärmaschinerie der NATO die Reste der serbischen Industrie und weite Teile der ökonomischen und sozialen Infrastruktur Restjugoslawiens. Weil der Terror der serbischen Milizen, der Gegenterror der UCK und das Bombardement der NATO-Luftwaffe täglich mehr Menschen zur Flucht in die selbst zutiefst destabilisierten Nachbarstaaten zwang, konnten die Kampfhandlungen nur fortgesetzt werden, wenn sich NGOs der insgesamt rund 680.000 Flüchtlinge annahmen: den "Grenzverkkehr" überwachten, die Menschen sammelten, erfassten und in die Lager geleiteten, die in enger Abstimmung mit dem Militär angelegt wurden. In den Lagern mußte Unterkunft geschaffen, die Nahrungsmittelversorgung gesichert, medizinischer Beistand geleistet werden. Ohne die Übernahme quasi-staatlicher Funktionen in der Versorgung und mithin der Sistierung und Kontrolle der Flüchtlinge durch die NGOs wäre das wochenlange Flächenbombardement nicht durchzuhalten gewesen, wäre sofort sichtbar geworden, zu welch katastrophalen Folgen die "humanitäre Intervention" geführt hatte. Mit den abend für abend live gesendeten Bildern aus den Lagern aber, wo NATO- und NGO-Personal Schulter an Schulter um die Rettung der Opfer kämpften, fügte sich das Elend in die militärhumanistische Propaganda ein: Jetzt mußte schneller und mehr gebombt werden, um die einmal angefangene Sache zuende zu bringen.
Im Kosovo richtete die NATO schließlich ein Protektorat ein, dessen Statthalter sich die Macht mit den Bandenchefs der UCK teilen. Diese einstmals maoistisch ausgerichtete "Befreiungsarmee des Kosovo" war jahrelang eine unbedeutende Splittergruppe, verstrickte sich in den Drogenhandel, wurde kurz vor Kriegsbeginn massiv aufgerüstet und vor allem auf Betreiben der USA politisch hoffähig gemacht - auf Kosten der bis dahin führenden, im Unterschied zur UCK jedoch an einer nicht-militärischen Lösung interessierten Organisationen der albanischen Zivilgesellschaft. Nach Kriegsende sollte die UCK eigentlich sofort abgerüstet werden. Jetzt ist sie ein polizeiliches "Hilfskorps" der Besatzungstruppen und erwiesenermaßen verantwortlich für die nun gegen SerbInnen und Roma gerichteten ethnischen Säuberungen. Ausgebildet wird das "Hilfskorps" vor allem von der "International Organisation on Migration" (IMO), einer in Genf ansässigen und für "Migrationspolitik" zuständigen Unterabteilung der EU-Bürokratie. Die politischen Kader der UCK haben sich vor allem der im Aufbau begriffenen örtlichen Verwaltungen bemächtigt. Während ihr offizielles Ziel ein großalbanischer Staat ist, spielt ihr Interesse an der einzig "zukunftsfähigen" Branche der zuerst niederkonkurrierten und dann zerbombten Wirtschaft des Landes - der Drogenökonomie - eine nicht unwesentliche Rolle. Das macht sie gewiß nicht schlechter als die Milosevic-Clique und andere Machteliten des ehemaligen Jugoslawien, zeigt aber, wie es im NATO-Schutzgebiet um so hehre Werte wie "nachhaltige Entwicklung" und "demokratische Zivilität" bestellt ist.
Der Krieg um das Kosovo war der bisherige Höhepunkt einer ganzen Folge von Kriegen und ethnischen Säuberungen, zu deren Erklärung nicht zufällig dasselbe rassistische Deutungsmuster verwendet wird, das schon die afrikanische Bürgerkriegsökonomie erläutern soll. Nur daß diesmal nicht der Blutdurst des "Negers", sondern die Mordlust ‚des‘ Balkanesen und insbesondere die ‚des‘ Serben zur ultima ratio der ethnischen Säuberung avanciert.
Sucht man eine andere Erklärung, muß man auf das Jahr 1980 zurückgehen, das Todesjahr Titos und zugleich das Jahr, in dem die politische Führung den Bankrott des jugoslawischen Staatsssozialismus offen eingesteht. Dessen Grundprinzip hatte in der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums vom industrialisierten Norden in den agrarischen Süden bestanden - dasselbe Prinzip übrigens, das Jugoslawien als Führungsmacht der blockfreien Bewegung auch international durchsetzen wollte. Solange diese Politik umsetzbar war, blieben zwar Verteilungskonflikte nicht aus, konnten jedoch durch die Zentralregierung ausbalanciert werden. In den 60er Jahren führt dies sogar zu einer begrenzten Demokratisierung der föderativen Struktur, in deren Zug 1974 auch dem Kosovo als Provinz der Republik Serbien Autonomie gewährt wurde.
Kurz darauf aber beginnt die durch eine bescheidene, aber stetige Zunahme des Massenwohlstands gezeichnete Industrialisierungs- und Modernisierungsbewegung zu stagnieren. Die Krise verschärft sich, als sich Jugoslawien dem Westen und damit der Konkurrenz des Weltmarkts öffnet. Wie andere Entwicklungsstaaten auch unterliegt Jugoslawien den Weltmarktbedingungen, die Hoffnung auf eine "nachholende" oder gar "einholende Entwicklung" erweist sich als Illusion, die unter einer zunehmenden Schuldenlast zusammenbricht. Diese Situation verschärft sich in den achtziger Jahren. Der IWF unterwirft Jugoslawien einer "Strukturanpassungspolitik", die von der Zentralregierung nur durch rigorose Angriffe auf den Massenwohlstand durchgesetzt werden kann. Die Folge ist ein immer heftigerer sozialer Widerstand. In den Jahren 1986 bis 1988 kommt es in allen Teilrepubliken zu ausgedehnten Streiks. Der Widerstand der ArbeiterInnen verschärft die Krise und bedroht das komplizierte Machtgefüge der föderativen Republik. Bemerkenswert aber ist, daß jedenfalls in der ArbeiterInnenbewegung dieser Zeit - also Ende der achtziger Jahre - nationalistischen Tendenzen kein größerer Einfluß zukommt: Die Kämpfe werden als autonome soziale Kämpfe gegen den Staat und die Bürokratie geführt.
Dies ändert sich erst, als mit der fortlaufenden Schwächung der Staatsmacht die regierenden Eliten in den Teilrepubliken bewußt die "nationale Karte" ausspielen und die Krise propagandistisch auf die Umverteilungsdynamik innerhalb der jugoslawischen Föderation zurückführen. Dabei widersetzt sich der slowenische und kroatische Nationalismus dem Abfluß eigener Mittel in den Süden, während sich Serbien zum Verteidiger der Einheit Jugoslawiens macht und die ökonomische Schwäche durch seine politisch-militärische Überlegenheit ausgleicht. Da die nationalistischen Spaltungen auch im Süden um sich greifen, kämpft der von Milosevic repräsentierte serbische Nationalismus bald gegen die herrschenden Eliten aller anderen Republiken.
Die westlichen Staaten wiederum reagieren zunächst keinesfalls einheitlich: Deutschland erzwingt die Anerkennung der Sezession Sloweniens und Kroatiens gegen Frankreich und England, die ihrerseits auf den serbischen Pol setzen. Die erste großflächige "ethnische Säuberung" geht von kroatischer Seite aus und führt zur Vertreibung von Hundertausenden Serben aus der Krajina. Im Resultat aber - und dies ist entscheidend! - gelingt den verbündeten und verfeindeten Staatseliten gemeinsam die Umkehrung des sozialen Massenwiderstands gegen die neoliberale Strukturanpassung: Gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Klassenkämpfe werden in sog. "ethnische Konflikte" umgedeutet und - entscheidend zuletzt - von den Beteiligten auch so wahrgenommen. Tatsächlich aber ist der ethnizistische Terror nicht der Ursprung, sondern das Resultat einer Krise, in der die einzige Ökonomie, von der man sich Überlebenschancen verspricht, die Ökonomie des Bürgerkriegs ist.
Dies verbindet die jugoslawischen mit den afrikanischen Kriegen. Die ihnen zugrundeliegende Logik gilt tendenziell und perspektivisch auch für alle anderen vom Globalisierungsprozeß ausgeschlossenen Weltregionen. Auch hier ist ein halbwegs gesichertes Überleben paradoxerweise nur um den Preis einer zunehmend gewaltbestimmten "Verwilderung der Konkurrenz" (Robert Kurz) möglich, deren ideologischer Ausdruck Ethnizismus, Nationalismus und Rassismus sind. Umgesetzt wird dies durch Raub auf allen Ebenen und durch einen gegenseitigen Terror, der jede Zivilität untergräbt. Dabei besteht die Restrationalität des zwischen den regierenden "Lumpenbourgeoisien" (Boris Kagarlitzky), ihren warlords und deren Banden ausgetragenen Kampfes in der Ausschlachtung der Modernisierungsruinen, der Aneignung der verwertbaren Rohstoffe und der Profite aus den wenigen joint ventures sowie in der Kontrolle über die mafiotischen Schattenökonomien des Drogen- und Menschenhandels, der Prostitution und des Tourismus. Spiegelbildlich kommt es auch in den unteren Sektoren der Gesellschaft zur gewalttätigen Entfesselung der Überlebenskonkurrenz, die in den Bandenkriegen der Kleinkriminellen und der sozialen Gewalt des Alltags ausgefochten wird.

Die Kriegsökonomie des Nordens
Daß die Bürgerkriegsökonomie der marginalisierten Weltregionen keine exotische Angelegenheit ferner Länder ist, ergibt sich schon aus den strukturellen Übereinstimmungen der afrikanischen mit den jugoslawischen Kriegen, die beide ein Resultat des ausschließenden Globalisierungsprozesses sind. Es ergibt sich aber auch aus der direkten Verwicklung der NATO in Jugoslawien, der die Interventionen in den Irak und in Somalia vorausgingen. Alle drei wurden zu "humanitären Interventionen" im Namen der Menschenrechte stilisiert, jedesmal operierten die NATO-Armeen und die ihnen angeschlossenen Kontingente anderer Länder in einem quasi weltpolizeilichen Auftrag. Anläßlich ihres 50. Jahrestags hat sich die NATO im April des vergangenen Jahres auch ganz offiziell zur Weltpolizei mandatiert. Das dort verabschiedete neue strategische Konzept geht von einem "breiten Spektrum militärischer und nichtmilitärischer Risiken" aus, "die aus vielen Richtungen kommen und oft schwer vorherzusagen sind" (Das strateg. Konzept des Bündnisses. Presse- & Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin 24, 3. 5. 99, S. 222-231. Zit. n. ak 427). Dazu gehören: "Ungewißheit und Instabilität im und um den euro-atlantischen Raum sowie die mögliche Entstehung regionaler Krisen an der Peripherie des Bündnisses. (...), ethnische und religiöse Rivalitäten, Gebietsstreitigkeiten, unzureichende oder fehlgeschlagene Reformbemühungen, die Verletzung von Menschenrechten und die Auflösung von Staaten (...). Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken umfassender Natur berührt werden, einschließliche Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen. Die unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen, insbesondere als Folge bewaffneter Konflikte, kann ebenfalls Probleme für die Sicherheit und Stabilität des Bündnisses aufwerfen." Dieses wahrhaft globale Bedrohungsszenario erfordert deshalb "militärische Fähigkeiten, die für das gesamte Spektrum vorhersehbarer Umstände wirksam sind." Hinfällig wird damit der § 5 des NATO-Vertrags, der das Bündnis auf den gegenseitigen Beistand im Fall eines militärischen Angriffs auf einen Bündnispartner beschränkte. Jetzt stehen sog. "Non-article 5 missions" gleichberechtigt neben der "Bündnisverteidigung", und zwar ganz ausdrücklich auch ohne Deckung durch die UNO oder die OSZE.
So wenig diese umfassende Selbstmandatierung nach ihrem Selbstverständnis interpretiert werden darf – als Pflicht zur "humanitären Intervention" im Namen der Menschenrechte – so wenig kann sie nach der klassischen Imperialismustheorie ausgelegt werden. Denn obwohl es dabei auch und explizit um die nötigenfalls militärische Sicherung der – so wörtlich - "Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen" geht, geht es definitiv nicht mehr um die koloniale Aneignung von Territorien mitsamt ihrer Ressourcen und der Arbeitskraft ihrer Bevölkerung oder die Schaffung von Einflußzonen im Interesse nationalstaatlich organisierter Imperien.
Statt dessen muß nach dem treffenden Ausdruck von Robert Kurz von einem "Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus" gesprochen werden. Dessen Definition schließt sich trotz des offenbaren Unterschieds in der politischen Bewertung im Kern an den Wortlaut des NATO-Strategiepapiers an: "Nicht Eroberung und Eingemeindung wird angestrebt, um sich bestimmte Ressourcen (schon gar nicht menschliche) unter den Nagel zu reißen. Im Gegenteil bezieht sich die strategische Orientierung darauf, dem System die als bedrohlich erlebte ungeheure Massierung der ‚Überflüssigen‘ in der Peripherie vom Leib zu halten. Die von der universellen Marktwirtschaft selbst erzeugten Katastrophen sollen möglichst draußenbleiben. Von diesem Standpunkt aus müssen die Flüchtlingsströme vor den westlichen Grenzen gestoppt und die Zusammenbruchsregionen auf Elendsniveau ‚befriedet‘ werden. Das implizite Ziel kann nur eine weltregional gestaffelte Ausgrenzungshierarchie sein, die von einigen wenigen an NATO und EU assoziierten Ländern (etwa vom Typus Ungarn) über einen Gürtel von Satrapen- und Operettenstaaten (etwa vom Typus Kroatien) bis zu völlig unselbständigen, von internationalen Organisationen oder Bandenkriegern ‚verwalteten‘ Protektoraten und ‚Homelands‘ (etwa vom Typus Kosovo) reichen und die gleichzeitig eine Verelendungshierarchie bilden." (Robert Kurz, jw 5.5.99). Das Ziel des "Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus" besteht letzten Endes in der Sicherung des Globalisierungsprozesses selbst durch die Absicherung der Globalisierungsrisiken und die Kontrolle der Globalisierungsverlierer. Hier erklärt sich dann auch die zunächst eher metaphorische Rede von der weltpolizeilichen Selbstmandatierung der NATO. Tatsächlich kann der Krieg gegen Milosevic wie zuvor schon die Kriege gegen Saddam Hussein und den somalischen warlord Aidid nach dem Muster einer Razzia verstanden werden, in der die Polizei ein von gangs beherrschtes Stadtviertel "aufmischt". In einer solchen Aktion geht es gar nicht darum, das betreffende Gebiet dauerhaft von gangstern zu säubern, um seinen BewohnerInnen langfristig Ordnung, Sicherheit und Zivilität zu bringen. Ziel ist vielmehr, demonstrativ klarzustellen, wer ein "anständiger Bürger" und wer ein "Schurke" ist und wo die Grenzen dessen liegen, was toleriert wird und was nicht. Der Schurke soll nicht unbedingt beseitigt, sondern ihm muß verdeutlicht werden, daß er letztlich von der Duldung durch die überlegene Staatsmacht bzw., im globalen Zusammenhang, durch die sog. "internationale Staatengemeinschaft" abhängt. Das beseitigt die Schurkerei nicht, zeigt aber, wer zuguterletzt der "Herr im Haus" ist. Ziel ist darüber hinaus die Sistierung der Elendsbevölkerung im eigenen Quartier, d.h. die territoriale Abschottung der Wohnviertel der middle und upper class bzw. - im Weltmaßstab gesehen - der noch prosperierenden Weltregionen. So gesehen war die NATO erfolgreich, obwohl Milosevic so wenig wie Saddam oder Aidid beseitigt werden konnte: Durchgesetzt wurde das polizeiliche Mandat selbst, dessen Geltung mittlerweile von sämtlichen Regierungen Südosteuropas und schließlich auch von der russischen Führung anerkannt worden ist. Unterbrochen und vermutlich dauerhaft unter Kontrolle gebracht ist vor allen Dingen die sog. "Südroute" der internationalen Migrationsbewegung, die von Irakisch-Kurdistan über die Türkei Albanien und Ex-Jugoslawien nach Italien und von dort ins Innere der "Festung Europa" führte. Wer künftig vom Hafen Istanbul aus nach Europa will, muß nun die sehr viel teurere und längere Route nehmen, die von Istanbul auf dem Luftweg über die Ukraine, Polen und Tschechien führt. Insofern war und ist der Kosovo-Krieg primär ein Krieg gegen die Flüchtlinge. Dessen Fortsetzung mit anderen Mitteln ist das infame Aushungern derjenigen, denen das Bleiberecht hier bislang noch nicht genommen werden konnte.
Was als globale Geopolitik der NATO-Staaten erscheint, ist nun allerdings – und auch dies gehört zur Logik des Globalisierungsprozesses – von inneren Spaltungen bedroht. Zwar ist die "Staaten- und Wertegemeinschaft" der NATO zur Sicherung ihrer Dominanz auf eine solche "global governance" angwiesen, doch wird die Gemeinsamkeit durch die Konkurrenzkalküle des Globalisierungsprozesses unterwandert. Der Krieg im Kosovo hat den europäischen Regierungen drastisch vor Augen geführt, wie wenig sie der amerikanischen Übermacht entgegenzusetzen haben. Denn während die USA den Krieg allein hätte führen können, war die EU vollständig auf deren Unterstützung angewiesen. Die Unterlegenheit auf dem Feld der militärischen Operation wie auf dem der Kriegstechnologie und der Rüstungskapazitäten wirkte sich bis in die Festlegung der zu bombardierenden Objekte aus, die von den Amerikanern ohne Anhörung der europäischen Kommandostäbe bestimmt wurden.
Dem soll nun durch die sog. "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) der EU begegnet werden. Deren Aufgaben bestimmt der am 1. 5. 99 in Kraft getretene Amsterdamer Vertrag. Der Vertrag sieht ausdrücklich "EU-Operationen ohne Rückgriff auf Mittel und Fähigkeiten der NATO" vor und übersetzt so die Loslösung der NATO von Mandaten der UNO in eine potenzielle Loslösung der EU vom Mandat der NATO. Dabei muß sich die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, so heißt es wörtlich im offiziellen Bericht der deutschen EU-Ratspräsidentschaft der ersten Hälfte des Jahres 1999, "auf glaubwürdige operative Fähigkeiten stützen können, wenn die EU in der Lage sein soll, auf der internationalen Bühne uneingeschränkt mitzuspielen" (Presse- & Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin 49, S. 533ff, zit. n. ak 433). In der Abschlußerklärung des darauf folgenden Kölner EU-Gipfel heißt es dann: "Im Hinblick darauf muß die Union die Fähigkeit zu autonomem Handeln, gestützt auf glaubwürdige militärische Fähigkeiten, sowie die Mittel und die Bereitschaft besitzen, deren Einsatz zu beschließen, um unbeschadet von Maßnahmen der NATO auf internationale Krisensituationen zu reagieren." (ebd., S. 532f.) Konsequenterweise hat derselbe Gipfel beschlossen, das Verteidigungsbündnis der Westeuropäischen Union bis Ende des Jahres 2000 formell in die EU zu integrieren. Ausgebaut wird jetzt bereits aber nicht nur die institutionelle, sondern auch die militärische Ebene: 50.000 bis 100.000 Soldaten will man zur schnellen Verfügung bereithalten, 300 bis 500 Flugzeuge und 15 Großkampfschiffe sollen den zu bildenden Interventionstruppen auf Abruf an die Seite gestellt werden.
Wie dringlich der Umbau der europäischen Militärmaschinerie ist, zeigt die hektische Debatte um die Empfehlungen der sog. Weizsäcker-Kommission, die die konsequente Umwandlung der Bundeswehr von einer auf allgemeiner Wehrpflicht aufbauenden territorialen Verteidigungsarmee zu einer durchprofessionalisierten Interventionsarmee vorschlägt. Im Streit um Abschaffung oder Beibehaltung der Wehrpflicht gerät ganz außer Sicht, daß extraterritoriale Interventionen in aller Welt von nahezu allen Kontrahenten befürwortet werden.
Dies alles wird nur finanzierbar sein, wenn die europäische Rüstungsindustrie ihren Abstand auf die amerikanische Konkurrenz verringert und ihre Produktionskapazitäten und mithin ihren Absatz entsprechend erhöht. Ein von den sechs größten Rüstungsexportländern (Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Schweden, Spanien, Italien) unterzeichneter letter of intent fordert dazu die "Elimination von Behinderungen" der Rüstungsindustrie auf dem Gebiet des Nachschubs, der Forschung, der Informationssicherheit, des Patentrechts und – der Exportbeschränkungen. Darüber hinaus soll zur Realisierung gemeinsamer Entwicklungs- und Beschaffungsprogramme im Bereich der Militärsatelliten-Systeme und der Lufttransportkapazitäten eine "Europäischen Rüstungsagentur" eingerichtet werden.
1997 betrugen die Rüstungsexporte in Länder der Dritten Welt ca. 46 Mrd US-Dollar. Davon realisierten die USA etwa 45 %, gefolgt von Großbritannien mit 18,5%, Frankreich 16%, dann Rußland, Israel, China, schließlich Deutschland mit 1,6 % (Quelle IISS). Wie man sieht, sind für den internationalen Handel mit Kriegsgerät nicht irgendwelche "Schurkenstaaten" verantwortlich, sondern die USA und Westeuropa, die zusammen 85% der Rüstungswelthandels kontrollieren. Unterdessen hat sich Deutschland, so legen es neuere Zahlen nahe, auf Platz 4 vorgearbeitet.
Das scheint vielen im Land steigerungsfähig zu sein, zumal es potente Abnehmer gibt, Saudi-Arabien z.B. mit jährlichen Rüstungsaufwendungen von 11 Mrd. Dollar, oder die VAE, Israel und Ägypten mit jeweils etwa 1 Mrd. Dollar und schließlich die Türkei, die in den nächsten 25 Jahren für 150 Mrd. Dollar ihre Armee aufrüsten und modernisieren möchte.
Ein kurzer Blick auf all die Rüstungsexporte, die geplant, beantragt oder bereits beschlossen sind, läßt unschwer erkennen, daß es sich bei dem Testpanzer für die Türkei nur um die Spitze eines Eisberges handelt. Zu diesen Waffentransfers zählen:
3 U-Boote (Howaldswerke) und 4 Korvetten (Blohm und Voss etc.) für Südafrika im Werte von 3,6 Mrd. DM (in den nächsten sieben Jahren).
32 Alpha-Jet Jagdbomber und zwei gebrauchte U-Boote für die Vereinigten Arabischen Emirate,
110 Gefechtsköpfe für die Panzerabwehrlenkwaffe Milan an Rumänien,
12 Hubschrauber an Südkorea,
26 Minenverlegesysteme Skorpion (inkl. AT-2 Panzerabwehrmine) an Griechenland,
und für die Türkei, seit langem schon ein Schwerpunkt deutscher Waffenlieferungen:
800-1000 Stück Transportpanzer Fuchs, 1000 Kampfpanzer Leopard II A5, 500.000 Stück HK33E Gewehre, 1.500 Granatwerfer Heckler & Koch, 145 Kampfhubschrauber "Tiger" aus deutsch-französischer Koproduktion, 6 Fregatten, 6 Minejagdboote, 4 U-Boote, 25 Transportflugzeuge (vermutlich in Koproduktion mit Spanien), 80 Raketenabwehrsysteme von DASA.

Die vorgetragene Liste ist längst nicht vollständig. Deutlich aber ist auch so schon:
Der Stopp der Rüstungsexportpolitik ist ein erster Schritt des Widerstands gegen die weitere Militarisierung der EU und die in sich konfliktive und auch insofern brandgefährliche Kriegsökonomie des Nordens.
Ein Mittel dazu ist die Herstellung unbedingter Transparenz. Die bisher im kleinen Kreis des Bundessicherheitsrats gefällten Entscheidungen über den Export von Rüstungsgütern müssen künftig vorab der Öffentlichkeit vorgelegt werden. Sofern der Artikel 26 des Grundgesetzes vorschreibt, daß "zur Kriegführung bestimmte Waffen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden" dürfen, müssen schon die Pläne zur Herstellung von Kriegswaffen öffentlich zur Disposition gestellt und der Prüfung der in Verfassung und Gesetzgebung niedergelegten Kriterien unterworfen werden! Sehen wir zu, welches Rüstungsgeschäft diese Prozedur übersteht – und wer in der Debatte welche Position bezieht.
Deutlich geworden ist hoffentlich aber auch: Eine dringend notwendige neue Friedensbewegung kann unter den Bedingungen der ausschließenden Globalisierung nicht mehr einfach ‚nur‘ eine Friedensbewegung sein. Sie muß statt dessen Teil einer sich diesem Prozeß im Ganzen entgegensetzenden "Globalisierung von unten" sein. Die Proteste gegen den WTO-Gipfel in Seattle und das Frühjahrstreffen von IWF und Weltbank in Washington haben dafür ebenso erste weiterführende Perspektiven eröffnet. Anzumerken bleibt allerdings, daß internationale Solidarität angesichts der fortlaufend verschärften Lebensbedingungen nicht-deutscher Menschen hier im eigenen Land beginnt.

  

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