METANASTIS
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LEHREN AUS DEM NATO-KRIEG GEGEN
JUGOSLAWIEN
Redebeitrag
von
Christian
Uliczka
auf dem
Friedensfest zum Ostermarschauftakt in Duisburg vom 22. April 2000
Liebe Leute,
erst `was Semantisches: ich vermeide die gängig
gewordene Bezeichnung "Kosovo-Krieg", weil sie ungenau und
verharmlosend ist. Auch wenn`s schwerfällig wirkt, sprech` ich vom
"NATO-Krieg gegen Jugoslawien", damit deutlich wird, daß das Objekt
dieses Krieges das ganze Jugoslawien
ist und, vor allem, wer für diesen
Krieg die Verantwortung trägt.
Wie stehen wir da, wir Ostermarschierer, zu Ostern
2000? Mit welcher Perspektive marschieren wir in diesen Tagen? Haben wir noch
Grund zu der Hoffnung, daß unsere Botschaft gehört wird? Oder sollten wir
endlich aufhören, nach einer Welt ohne Waffen zu rufen? Anders gefragt: wieso
sind wir so schwach geworden?
Wer
darüber Klarheit gewinnen will, kommt nicht umhin, sich mit dem NATO-Krieg
gegen Jugoslawien und der von Rotgrün verantworteten deutschen Beteiligung
daran grundlegend auseinanderzusetzen.
Er
muß sich vor Augen halten, was dieser Krieg bedeutet, wie weit seine Folgen
reichen, wie tief der durch ihn bewirkte Einschnitt geht, wie nachhaltig er uns
schadet.
"Nie wieder
Krieg!"
war nach 1945 unter den überlebenden Deutschen kollektives Gelöbnis, dem
niemand widersprechen mochte.
Das
Jahrhundert war nicht zu Ende, und Rotgrün saß kaum im Sattel, und Deutschland
führt wieder Krieg. Mehr noch: Deutschland fängt Krieg an, und zwar gegen ein
Land, das seinerseits noch nie Deutschland auch nur bedroht hat! Das allein,
noch vor jeder Wertung, eine verstörende Erfahrung, zumal für jemanden, der,
wie ich, nahezu die ganze Entwicklung der Bundesrepublik als Erwachsener
mitgemacht und diesen Staat als letztlich auf Friedenswahrung ausgerichtet
eingeschätzt hat. Ich bin, buchstäblich, krank geworden davon.
Und
was ist das für ein Krieg?!? Ein Krieg, der durch nichts gerechtfertigt werden
kann, ein, unter jedem Blickwinkel, schändlicher Krieg.
Ein
maßloser, ein monströser Krieg, geführt von einer hundertfach überlegenen,
hochtechnisierten Allianz der einzigen Weltmacht mit fast dem ganzen Europa,
computerisiert und digitalisiert, auf Knopfdruck und nahezu ohne eigenes Risiko,
Tod und Verwüstung speiend gegen ein zu erfolgversprechender Gegenwehr
unfähiges kleines Land.
Eine
Barbarei: gezieltes Zerstören der
zivilen Infrastruktur im ganzen Land, zehntausendfaches Abwerfen von Splitter-
und Streubomben mit Langzeitwirkung, der Einsatz von massiv toxischer
urangehärteter Munition, eine Kriegsführung, die weiträumige, nachhaltige und
schwerstwiegende Schädigung der Umwelt billigend in Kauf nimmt; seit 1977 ist
dies, in Reaktion auf die umweltzerstörende Kriegsführung der USA im
Vietnamkrieg, kriegsvölkerrechtlich verboten und nach dem Zusatzprotokoll I zu
den Genfer Konventionen von 1948 ausdrücklich ein Kriegsverbrechen.
Ein
ganz und gar vermeidbarer Krieg, der
aber, wie das Hintertreiben der OSZE-Beobachtermission und das Diktat von
Rambouillet mit seinem berüchtigten, für jeden Präsidenten unannehmbaren Annex
B deutlich gemacht haben, gerade nicht
vermieden, sondern geführt werden sollte, und zwar zeitnahe zum 50. Jahrestag
der NATO-Gründung als ein die Weltöffentlichkeit beeindruckendes Präsent und
als Entree in die neue Rolle der NATO als des alleinigen Weltsheriffs.
Die
NATO und, in ihrem Schlepptau, die Bundesrepublik Deutschland haben gegen das
souveräne Jugoslawien, um ihm eine diktierte sogenannte Lösung eines
innerstaatlichen Konflikts abzupressen, einen Angriffskrieg geführt. Einen Angriffskrieg zu führen, ist
völkerrechtswidrig, ein durch Art. 26 des Grundgesetzes als verfassungswidrig
verbotenes und für strafbar erklärtes Verbrechen.
Schon
der weit vor Kriegsbeginn, nämlich, mit Zustimmung der zwei Wochen zuvor
abgewählten, aber noch amtierenden Bundesregierung, am 12. Oktober 1998
erlassene NATO-Aktivierungsbefehl "ACTORD" war, die Drohung mit
Krieg, ein Rechtsbruch: schon bloßes Drohen mit Gewalt ist nach der UN-Charta
verboten.
Der
Angriff auf das souveräne Jugoslawien ist nicht etwa deshalb kein Verbrechen, weil er, angeblich, um
eines als humanitär bezeichneten Ziels willen geführt worden ist.
Abgesehen
davon, daß das Völkerrecht eine " humanitäre Nothilfe" als
Kriegsrechtfertigung nicht kennt, abgesehen weiter davon, daß das Bomben, wie mittlerweile kaum jemand noch
ernsthaft in Abrede stellt, Vertreibung und Flucht nicht gestoppt, sondern erst
eigentlich in Gang gebracht hat, kann hier gedanklich von "Nothilfe"
keine Rede sein: wer das Anwenden von Gewalt als Einsatz für das Menschenrecht
eines mißhandelten Opfers legitimieren will, hat nämlich die Kosten seines
Handelns, sofern er sie nicht dem Täter aufbürden kann, selber zu tragen. Keinesfalls
darf er unbeteiligte Dritte damit belasten. Genau das aber hat die NATO getan:
sie hat an etwaigen Ausschreitungen absolut unbeteiligte serbische Zivilisten,
massenhaft, getötet, übrigens auch nicht wenige gleichfalls unbeteiligte
Kosovo-Albaner. Eine Maxime, die zur Rettung von Menschen die Tötung
unbeteiligter Menschen in Kauf nimmt, richtet sich selbst.
Natürlich
sind die rotgrünen Kriegsbetreiber nicht so dumm, für wie dumm sie das Publikum
verkaufen. Die Fadenscheinigkeit ihrer Bemühungen, diesen Krieg als
gerechtfertigt hinzustellen, ist ihnen nur zu bewußt. Hier liegt der tiefere
Grund für das willfährige Übernehmen des absurden Klischees von Milošević
als einem neuen Hitler und das widerwärtige Geifern Rudolf Scharpings
von ethnischer
Säuberung, Selektierung und KZ´s,
von Völkermord, Schlachthaus, Miloševićs Schergen
und Miloševićs Mörderbanden,
von bestialischen Verbrechen und dem Blick in die Fratze
der deutschen Vergangenheit
und
dafür, daß Joseph Fischer "Auschwitz" an die Wand malt und die Gegner
des rotgrünen Kriegskurses als "Weißwäscher eines neuen Faschismus´"
diffamiert, der Grund schließlich auch dafür, daß Gerhard Schröder sich zu der
Ungeheuerlichkeit versteigt, die deutschen Soldaten hätten mit ihrer
Beteiligung an dem Krieg "Wiedergutmachung" geleistet für die Untaten
der Wehrmacht auf dem Balkan im Zweiten Weltkrieg. Und ganze Kohorten von
Grünen haben uns ihre "Zerrissenheit"
vorgebarmt.
Das
alles mußten wir über uns ergehen lassen, bis zu dem unsäglichen Ausspruch hin,
mit dem der Duisburg im Bundestag vertretende Helmut Wieczorek, immerhin der
Vorsitzende des Verteidigungsausschusses , sich am vierten Kriegstag von der
NRZ hat zitieren lassen: das sei ein Krieg gegen einen Verrückten und ein
Verrückter habe das Recht verspielt, daß man sich mit ihm an einen Tisch setze
und verhandele.
Und
Tag für Tag die sogenannten Briefings aus dem NATO-Hauptquartier, mit dem
unerträglichen Jamie Shea als smart-heiterem Verkünder immer neuer erfolgreich
verübter NATO-Gemeinheiten; kein Wunder übrigens, daß neulich jemand auf einer
Konferenz im belgischen Gent über die NATO-Propaganda ihm eine Torte in Gesicht
zu werfen versucht hat.
Dazu
Abend für Abend die durchweg unkritisch die Kriegspropaganda transportierenden
und mit dazu passenden Bildmaterial unterfütternden ARD-Brennpunkte, besonders
penetrant mit dem Bayern Gottlieb als Moderator, der von Mal zu Mal mehr für
den Bodenkrieg trommelte.
Die
gedruckten Medien waren keinen Deut besser,
mit rühmlichen Ausnahmen: ich nenne nur die
Frankfurter Rundschau und den, jedenfalls
anfangs, dezidiert kriegskritischen Ralf Lehmann,
Chefredakteur der WAZ.
Und
das alles 78 Tage lang, ein ins Endlose gedehnter Alptraum.
Wir
Friedensleute, in Duisburg und anderswo, haben versucht, uns nicht beirren zu
lassen: sind auf die Straße gegangen, haben, in Duisburg, einen ermutigenden
Ostermarsch-Auftakt zustandegebracht und danach mit unseren täglichen
Mahnwachen bis zum Ende des Bombens durchgehalten. Aber belastet und
niedergedrückt hat es uns schon.
Schließlich
hatten viele von uns sich, seit dem Kampf gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen,
gewöhnt, in Grünen und zu großem Teil auch in Sozialdemokraten entschiedene
Mitstreiter für Gewaltfreiheit und Frieden, einen wichtigen Teil der
Friedensbewegung, zu sehen. War Rotgrün dann nicht geradezu berufen, der Welt
vorzuführen, in welch` zukunftsfähigem, menschheitsförderlichen, friedlichen Sinne das vereinigte
Deutschland zur Großmacht taugt?!?
Eben
noch hatten sie uns eingelullt mit dem in ihre Koalitionsvereinbarung
aufgenommenen Kernsatz
Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik,
und
schon, die neue Regierung ist noch nicht im Amt, beschließen sie mit dem
abgewählten alten Bundestag im Bewußtsein, daß dafür die rechtliche Grundlage
fehlt, mehrheitlich, sich gegebenenfalls mit Tornados der Bundeswehr am
Bombardieren Jugoslawiens zu beteiligen!
Vom
einen zum anderen Augenblick mutiert so unser Gemeinwesen vom Rechtsstaat, der
es seiner Verfassung nach sein soll, zum Unrechtsstaat, und die breite
Öffentlichkeit nimmt das ohne wahrnehmbaren Widerspruch hin. Noch tut man sich schwer, das unter
totalitärem Vorzeichen verübte alte Unrecht
wenigstens materiell einigermaßen abzugelten, noch machen unsere Strafgerichte Mauerschützen den Vorwurf,
erkennbar rechtswidrigen Befehlen gefolgt zu sein, da mutet unser, diesmal
demokratisch verfaßter, Staat seinen Soldaten zu, Befehlen zu folgen, die vor
der Rechtsordnung keinen Bestand haben, mutet er ihnen zu, neues Unrecht zu
begehen und, in der Folge davon, auch strafrechtlich belangt werden zu können!
Und wir alle, Angehörige dieses Staates, werden dafür, ob wir uns wehren oder
nicht, faktisch mit in Haftung genommen!
Und
wir, die wir für den Frieden arbeiten, sehen beklommen, wie klein in
Wirklichkeit ist, was "Friedensbewegung" genannt werden kann, wie
wenige wir sind, und wir müssen uns eingestehen, daß wir das Unheil nicht
verhindert haben! Soll das kein Grund sein, den Mut sinken zu lassen?
Sollte
man nicht die Fassung verlieren angesichts sogenannter kritischer
Intellektueller und scheinbar progressiver Politpromis, die sich reihenweise
als Bellizisten, als Kriegsbefürworter, outeten? Ich nenn` nur den, der mich am
tiefsten enttäuscht hat: Erhard Eppler.
Und
was war mit den gesellschaftlichen Gruppierungen und Institutionen, den
Gewerkschaften, den Kirchen, Greenpeace, B.U.N.D.? Haben die sich zu Wort
gemeldet?
Noch
gravierender: das Versagen der Dritten Gewalt. Die Staatsanwaltschaften haben
die gegen die maßgeblichen Kriegsbetreiber erstatteten Strafanzeigen
ausnahmslos mit der fadenscheinigen Regierungsargumentation abgeschmettert.
Statt die Rechtsbrecher zur Verantwortung zu ziehen, versucht, umgekehrt, die
Staatsanwaltschaft Berlin seit Anfang November, diejenigen Kriegskritiker zu
kriminalisieren, die wenige Tage nach Beginn des Bombens in einem u.a. in der
taz veröffentlichten Aufruf auf die Grundgesetz- und Völkerrechtswidrigkeit der
Bombardierungen aufmerksam gemacht und den beteiligten Soldaten nahegelegt
hatten, Einsatzbefehle zu verweigern und sich von der Truppe zu entfernen;
damit sollen die Unterzeichner zu einer Straftat, nämlich zur
Gehorsamsverweigerung und zur Fahnenflucht, aufgerufen haben. Der reine Hohn: die Aufforderung, keine
Straftaten zu begehen, wird in eine Aufforderung zur Begehung von Straftaten
umgemünzt!
Ein
verheerender Beitrag zur politischen Kultur der "Berliner Republik"!
Keines dieser weit mehr als
100 Strafverfahren
ist rechtskräftig
abgeschlossen: wer in erster
Instanz unterlegen ist,
zumeist die Staatsanwaltschaft,
hat Berufung eingelegt.
Mittlerweile,
gut ein Jahr nach dem Beginn des Bombens, hat sich das Gesamtbild, das die
Haltung unserer Gesellschaft zu dem Krieg und seinen Folgen bietet, nicht
nennenswert geändert.
Zwar
kann man allenthalben von Chaos in Priština und in Kosovska Mitrovica und davon
hören und lesen, daß im Kosovo die Mafia regiert, KFOR und UNMIK kein Bein an
den Grund kriegen und jeder noch nicht geflohene Nicht-Albaner unausgesetzt um
sein Leben fürchten muß. Niemand aber sagt oder schreibt, daß genau diese Zustände zwangsläufige Folge der Bombardements sind und von jedem
vernünftigen Betrachter vorauszusehen waren.
Nach
wie vor ist in den Zeitungen bis hin zu Roderich Reifenraths Beitrag in der
Frankfurter Rundschau zum Jahrestag 24. März von "Miloševićs
Soldateska" die Rede. Und kein Mensch fragt, wo denn für die angeblichen
serbischen Massaker an der kosovo-albanischen Zivilbevölkerung die Belege
bleiben, nach denen man, gleich nach dem KFOR-Einzug in das Kosovo, wochenlang fieberhaft gesucht hat.
Und
noch lassen die Medien dem
Kriegsrhapsoden Scharping widerspruchslos sein beweisloses "Bekräftigen"
der Existenz eines geheimen jugoslawischen "Hufeisenplans" zur systematischen
Vertreibung der Kosovo-Albaner durchgehen, statt ihm diesen dreisten
Propaganda-Popanz um die Ohren zu hauen.
Und keiner von den
prominenten Kriegsbejahern hat seine Zustimmung öffentlich widerrufen!
Allerdings
werden mehr und mehr Zweifel laut, ob denn der von den Kriegführenden erhobene
moralische Anspruch als eingelöst gelten könne. Doch bleibt es beim Anzweifeln.
Den Anspruch als prinzipiell zur Rechtfertigung untauglich und als lediglich
vorgeschützt zurückzuweisen, traut man sich nicht. Darum dringt man auch nicht
vor zu der für uns selbstverständlichen Forderung, die auch unser Friedensforum
in seinem Aufruf zum 24. März erhoben hat, der Forderung, daß die an der rechtsbrecherischen
NATO-Aggression beteiligten Staaten vollen Ersatz für alle von ihnen dabei angerichteten
Schäden leisten, alles zusammen Schäden von, nach Berechnung der Weltbank,
mindestens 240 Milliarden Mark.
Unkommentiert
und wohl auch von den Medienmenschen unbemerkt bleibt weiter, daß die von NATO
und EU ausgehende Aggression gegen Jugoslawien andauert: Was denn anderes als Aggression sind das dieses
geschundene Land zusätzlich ruinierende Wirtschaftsembargo und die auch nach
der faktischen Abtrennung des Kosovos von Jugoslawien aufrechterhaltene
Forderung nach Entmachtung Miloševićs, eine anmaßende Einmischung in die inneren
Angelegenheiten eines souveränen Staates, mit der ein ganzes Volk auf
unabsehbare Zeit in weiterer Geiselhaft gehalten wird!
Alles
dies, was in den Medien nicht vorkommt, müssen wir mit aller uns möglichen Öffentlichkeitswirkung zum Thema
machen. Um es mit Clemens Ronnefeldt, dem Referenten bei unserem letztjährigen
Ostermarsch-Auftakt, zu sagen:
Die Wahrheit
muß ans Licht!
Die
Wahrheit ist, daß der NATO-Krieg nicht nur vielfältiger Rechtsbruch, sondern,
gemessen an seiner erklärten Zielsetzung, ein glatter Fehlschlag war. Das
Kosovo liegt, in nahezu allen Belangen, in Scherben. Daß, wie und wann dort
eine gedeihliche Ordnung zustandekommen sollte, kann man sich nicht vorstellen.
Die westliche sogenannte Staatengemeinschaft, die ohne weiteres eine
gigantische Militärmaschinierie zu gigantischen Kosten aufbieten konnte, kriegt
es nicht hin, die für den Aufbau einer leidlich funktionierenden Polizei
nötigen Leute in halbwegs ausreichender Zahl da hinzuschicken. Ein
multiethnisches Zusammenleben dort, das die NATO angeblich doch gewährleisten
wollte, ist definitiv undenkbar geworden.
Wahrheit
ist aber auch, daß der Krieg, wenn man davon absieht, daß der sogenannte Sieg
über Jugoslawien, militärtechnisch bewertet, alles andere als glanzvoll war
und, statt pünktlich zum NATO-Jubiläum präsentiert zu werden, elf quälende
Wochen lang auf sich hat warten lassen, daß also dieser Krieg für die Führungsmacht
der NATO ein Erfolg ist: die USA haben die eigentlichen, ihre wahren Ziele durchaus erreicht:
Die
NATO hat sich als weltweite hegemoniale Ordnungsmacht etabliert. Sie hat
bewiesen, daß sie entschlossen und imstande ist, ihr zum Jubiläum im April 1999
verabschiedetes neues strategische Konzept durchzusetzen, das Konzept,
"selbstmandatiert" überall und jederzeit "im euroatlantischen
Raum" ohne Rücksicht auf das Völkerrecht militärisch zu intervenieren.
UNO, OSZE und Rußland sind an den Rand gedrückt. Aller Welt ist vorgeführt
worden, daß die NATO ein Waffenarsenal und ein Militärpotential von höchstem
technischen Niveau hat, dessen Einsatz keinem Gegner eine Chance läßt. So hat
die Welt gelernt, daß die NATO bereitsteht, die Weltwirtschaftsordnung des
globalisierten Kapitalismus im Interesse der Metropolen des Nordens militärisch
zu sichern.
Durchaus
erwünscht für die US-Administration war und erreicht worden ist daneben, daß
die aufstrebende Wirtschaftsmacht Europa, dieser unliebsame Konkurrent für den
Herrschaftsanspruch der alleinigen Supermacht, sich in seinem
"Hinterhof" selber eine schwärende Wunde beibrachte und sich so dort
mit erheblichen diplomatischen, finanziellen und militärischen Ressourcen
langfristig und für die USA kontrollierbar band; die EU ist dergestalt intensiv
und nachhaltig in die auf dem Balkan bestehenden Konfliktlagen verstrickt
worden.
Gleichfalls
nebenbei konnte man für die USA, zum Ausgleich für den Image-Schaden aus dem
Bombardieren des Irak, durch Unterstützen der albanischen Muslime
"Pluspunkte" sammeln in der – ölreichen - Welt des Islam.
Wahr
ist weiter, daß der gesellschaftlich-ethische Schaden für uns unermeßlich ist:
wir haben uns an der humanitären Nase für nichts und wieder nichts in einen
barbarischen Krieg hineinziehen lassen und uns schlimmes Unrecht aufgeladen und
gewiß auch an Ansehen verloren. Nach solchem Exzeß, beispielsweise, Kinder
überzeugend zu Gewaltverzicht beim Austragen von Konflikten und zu sorgsamem
Umgang mit der Schöpfung zu erziehen, ist wesentlich erschwert worden.
Die
rotgrünen Betreiber des Krieges haben unser Gemeinwesen in die tiefste
Legitimationskrise seit Bestehen der Bundesrepublik gestoßen. Demgegenüber sind
Spendenaffäre und Kohldämmerung, an denen sich unsere Medien seit Monaten abarbeiten,
bloße Lappalie.
Wahr
ist schließlich, daß, bei vernünftiger Beurteilung, dieser Krieg das Gegenteil
von dem nahelegt, was unsere Militärs und Militärpolitiker daraus folgern: ein
Gebot zu umfassendem Aufrüsten. Der Krieg hat keineswegs gezeigt, wie
wünschenswert es sei, hochtechnisierte Krisenreaktionskräfte zu haben und mit
den Amerikanern in puncto "high tech" möglichst gleichzuziehen,
sondern, im Gegenteil, dem unvoreingenommenen Betrachter mit schmerzender
Deutlichkeit vor Augen geführt, daß auch mit noch so forciertem "high
tech" jeder Krieg in die Katastrophe führt, der Krieg selber die Katastrophe ist.
Davon
abgesehen, würde das von den Planern einer sogenannten europäischen Verteidigungsidentität
geforderte rabiate Aufrüsten Europa auf lange Zeit wirtschaftlich einen Riesenklotz
ans Bein binden und es gegenüber den USA dauerhaft ins Hintertreffen bringen.
Und auch insofern gilt: wer die Kriege der Zukunft verhindern und das
Wettrüsten, statt es anzuheizen, beenden will, muß sich der globalen Dominanz
der USA widersetzen und seine Energie auf das Schaffen und Stärken einer Zivilmacht Europa richten.
Zivile Konfliktbearbeitung statt Aufrüstung muß mehr
denn je unsere Devise sein. Auch wenn unsere Kräfte nicht reichen, zu all`
diesen Fragen die "Interpretationshoheit" zu gewinnen, müssen wir
unsere ganze Kraft daran wenden, diese Wahrheiten weithin kenntlich zu machen.
Wer denn
sonst,
wenn nicht
wir,
hätte das
Zeug,
das zu
leisten?
Zur Person:
Christian Uliczka, 68 Jahre,
Vorsitzender Richter am Landgericht Duisburg a.D., Friedensarbeit seit dem sogenannten
NATO-Doppelbeschluß zur Stationierung von Mittelstreckenraketten vom Dezember
1979, Mitglied im Friedensforum Duisburg und im Komitee Ostermarsch Ruhr,
Teilnehmer am Kasseler Friedensratschlag