METANASTIS

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Kosovo-/Jugoslawienkrieg – Die Wahrheit muss ans Licht!

von Clemens Ronnefeldt, Versöhnungsbundreferent

 

Knapp ein Jahr nach Beginn der Nato-Bombardierungen am 24.3.99 stellen sich im Rückblick eine ganze Reihe von Hauptmotiven der Beteiligten in einem anderen Licht dar. Es nützt den Opfern wenig, wenn sich in vielleicht 20- 30 Jahren die verantwortlichen Politiker dieses Krieges für ihre Taten entschuldigen – wie dies z.B. Bill Clinton während seiner bisherigen Amtszeit beim vietnamesischen oder chilenischen Volk getan hat. Was m.E. ansteht, ist eine zügige Aufarbeitung, die einige grundlegende politische Paradigmenwechsel in der politischen Großwetterlage klar herausarbeitet. Der nachfolgende Artikel möchte einen Beitrag dazu leisten. Er ist bewusst als Zusammenstellung glaubwürdiger Quellen angelegt, die weder in eine proalbanische noch in eine proserbische „Ecke“ zu stellen sind und beschränkt sich auf überleitende, zuspitzende Kommentierungen.

Die grundlegend falsche Annahme: Entweder Völkermord oder Krieg

„Bei den Grünen gab es in einem wichtigen Punkt ein intellektuelles Defizit: Sie sahen nur zwei Möglichkeiten: Entweder ethnische Säuberungen oder Bombardements. Und das was falsch“, so der Friedensforscher Johan Galtung in einem Interview über den Kosovo-/Jugoslawienkrieg (in: Jungle World, 30.6.99). Insbesondere Joschka Fischer trieb mit der „Nie wieder Krieg und nie wieder Auschwitz“-Parole seine Partei wie auch die Gemütslage weiter Bevölkerungskreise in eine so den Realitäten nicht entsprechende Sackgasse – vermutlich wider besseres Wissen.

Javier Solana zur Einhaltung des Holbrooke-Milosevic-Abkommens

In einem immer noch – trotz Veröffentlichung („Die Woche“, 2.7.99) – wenig bekannten Brief an den Militäreinsatzbefürworter Erhard Eppler zitierte Dieter S. Lutz, Leiter des Hamburger Friedensforschungsinstitutes (IFSH), einige Quellen, die die Bundesregierung wie auch die NATO-Staaten insgesamt in einen Erklärungsnotstand bringen könnten. Dieter Lutz: „Ich beginne mit dem Holbrooke-Milosevic-Abkommen vom 13. Oktober 1998. Vierzehn Tage nach Abschluss dieser Vereinbarung ging NATO-Generalsekretär Solana am 27. Oktober 1998 mit folgender Einschätzung an die Öffentlichkeit: `Erfreulicherweise kann ich nun berichten, daß in den letzten 24 Stunden mehr als 4.000 Angehörige der Sonderpolizei aus dem Kosovo abgezogen worden sind. Die Sicherheitskräfte werden auf den Umfang abgebaut, den sie vor dem Ausbruch der jetzigen Krise hatten. Ich fordere die bewaffneten Gruppen der Kosovo-Albaner auf, den von ihnen erklärten Waffenstillstand aufrechtzuerhalten´“.

Heinz Loquai, Brigadegeneral bei der OSZE, zur OSZE-Mission

Lutz läßt den vormaligen, seinerzeit zuständigen deutschen Brigadegeneral bei der OSZE in Wien, Heinz Loquai, ausführlich zu Wort zu kommen: „Für die OSZE waren Rekrutierung und Stationierung einer so großen Mission Neuland. Es gab daher Friktionen und Verzögerungen. Außerdem wurden Entscheidungen in der von Briten und Amerikanern dominierten Mission sehr langsam getroffen. So warteten zum Beispiel deutsche Beobachter mitunter wochenlang, bis sie akzeptiert wurden. Die jugoslawischen Behörden mahnten sogar eine schnellere Stationierung der OSZE-Mitarbeiter an, versprachen sie sich davon doch auch eine Kontrolle der UCK. Und dennoch: Die sichtbare internationale Präsenz an Brennpunkten des Geschehens trug zur Entspannung der Lage bei, ließ die Flüchtlinge wieder in ihre Dörfer zurückkehren. Mitte November wurden nur noch wenige hundert in einem Lager künstlich zurückgehalten, um den Medien ein solches Camp vorführen zu können. Doch es gab ein Problem, auf das anscheinend niemand vorbereitet war. Die UCK, die sich an die Vereinbarungen nicht gebunden fühlte, rückte dort ein, wo die Jugoslawen abgerückt waren. Von jugoslawischer Seite wurde wiederholt erklärt, wenn die UCK weiterhin das geräumte Gebiet besetze, werde das zu Reaktionen führen. Der deutsche Botschafter in Belgrad, Wilfried Gruber, appellierte an Bonn, den deutschen Einfluß auf die Kosovo-Albaner geltend zu machen und den Worten auch Taten folgen zu lassen. ...Aber die USA schienen ein militärischen Eingreifen schon vor den Rambouillet-Verhandlungen fest im Blick zu haben. ... Fixpunkt dabei war der Gipfel in Washington zur Feier des 50-jährigen Bestehens der Allianz. Auf dieses strahlende Ereignis sollte nicht der Schatten eines ungelösten Kosovo-Problems fallen. Deshalb schien es auch, vier Wochen vor dem Fest, höchste Zeit zu sein, entschlossen zu handeln“ (in: Die Woche, 2.7.99). In der FR-Dokumentation vom 22.9.99 („Die Chronik eines nicht verhinderten Krieges“) wurde Heinz Loquai noch präziser: „Die Ereignisse zeigen, daß durchaus Möglichkeiten für eine friedliche Lösung des Kosovo-Konfliktes bestanden. Greifbar nahe war diese Chance in der Zeit von Mitte Oktober bis Anfang Dezember 1998. In diesen Wochen befand sich die Bundesrepublik Jugoslawien auf Friedenskurs. Die Tauben hatten dort offenbar die Oberhand gewonnen. Es wäre nun erforderlich gewesen, auch die Kosovo-Albaner auf diesen Weg zu bringen oder zu zwingen. Eine rasche, flächendeckende Stationierung der OSZE-Mission hätte den Weg zum Frieden absichern können. Beides ist nicht gelungen. Doch auch danach gab es immer wieder relative Ruhe und Chancen für eine friedliche Lösung des Konflikts. Zwar zogen die Falken ab Dezember 1998 schon wieder ihre Kreise. Beide Konfliktparteien eskalierten die Gewalt. Die UCK sah sich ihrem Ziel, das sie beharrlich verfolgt hatte, ganz nah: einem Nato-Angriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien. Die jugoslawischen Hardliner zielten darauf ab, die UCK und ihre gesamte Infrastruktur zu eliminieren. Beide Parteien nahmen auf die Zivilbevölkerung wenig Rücksicht, sie wurde für die jeweiligen Zwecke instrumentalisiert. Eine von langer Hand vorbereitete systematische Vertreibung der kosovoalbanischen Bevölkerung ist jedoch nicht erkennbar. Die OSZE konnte die Konflikte immer wieder einhegen und die Lage von Fall zu Fall stabilisieren. Doch ab Mitte Januar wuchs der Druck in Richtung einer militärischen Lösung aus der Nato, allen voran die USA, rapide. ... Außerdem konnte ja ein militärisches Eingreifen der Nato ohne UN-Mandat faktisch einen Anspruch bestätigen, den die USA bisher in den Verhandlungen über eine neue Bündnisstrategie noch nicht durchzusetzen vermocht hatten“.

Fazit Loquais zum Scheitern der OSZE-Mission

Brigadegeneral Loquai faßte seine Analyse in der NDR-4-Sendung „Streitkräfte und Strategien“ am 22.5.99 folgendermaßen zusammen: „Vertreibungen und Flüchtlingsströme setzten ein, nachdem die internationalen Organisationen das Kosovo verlassen und die Angriffe begonnen hatten. D.h. der Krieg verhinderte die Katastrophe nicht, sondern machte sie in dem bekannten Ausmaß erst möglich. Die Frage, wie und warum die zweifellos vorhandenen Chancen zum Frieden verspielt wurden, ist dabei nicht nur historisch interessant. Sie ist wichtig für die zukünftige Gestaltung des Friedens in der geplagten Region. Der Frieden wurde u.a. verspielt, – weil die meisten NATO-Staaten einseitig Partei gegen die Serben und für die Kosovo-Albaner nahmen. Hierdurch stärkte und ermunterte man die UCK, und man förderte selbst bei gemäßigten Serben den Eindruck, dass die NATO ohnehin die Sache der Albaner betreibe, – weil die Europäer den USA zu gefügig waren und den aufgebauten Zeitdruck hinnahmen, ohne sich der all-mählichen Militarisierung der Politik zu widersetzen. – weil die NATO glaubte, durch ihre Luftangriffe Milosevic innerhalb kurzer Zeit zum Nachgeben zu zwingen und die Durchhaltefähigkeit eines diktatorischen Regimes unterschätzte. – weil die politische und militärische Führung der NATO außer acht gelassen hatte, dass der Einsatz allein von modernen Kampfflugzeugen gegen bewegliche, aus guter Deckung operierende Bodenziele risikoreich, aufwendig und von sehr begrenzter Wirkung ist. Fahnenjunker lernen diese Binsenweisheit auf der Offizierschule.“ Ex-Nato-Generalsekretär Lord Carrington bestätigt Loquais ersten Satz: „Ich glaube, dass die Bombenangriffe die ethnische Säuberung verursacht haben“ (in: Sächsische Zeitung, 28./29.8.99).

Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.3.99 zur Situation im Kosovo

Dieter Lutz untermauert seine These von der Abwendbarkeit des Krieges im Brief an Erhard Eppler auch mit der Lageanalyse des Auswärtigen Amtes vom 19. März 1999: „Der Waffenstillstand wird von beiden Seiten nicht mehr eingehalten.... Im Rahmen von lokalen Operationen der jugoslawischen Armee (VJ) gegen die UCK kam es in den letzten Tagen auch wiederholt zu vorsätzlichem Beschuß von Dörfern. Stets wurde zuvor die Bevölkerung zum Verlassen der Ortschaften aufgefordert, was diese auch tat. UNHCR und KVM (Kosovo Verifikations Mission der OSZE, Anm: C.R.) berichten übereinstimmend über eine systematische Vorgehensweise der VJ bei der Zerstörung von Dörfern mit dem Ziel, durch gezielte Geländebereinigung sämtliche Rückzugsmöglichkeiten für die UCK zu beseitigen ... Die Zivilbevölkerung wird, im Gegensatz zum letzten Jahr, in der Regel vor einem drohenden Angriff durch die VJ gewarnt. Allerdings ist laut KVM die Evakuierung der Zivilbevölkerung vereinzelt durch lokale UCK-Kommandeure unterbunden worden. Nach Beobachtungen des UNHCR ebnet die VJ die Dörfer entgegen der Vorgehensweise im letzte Jahr nicht völlig ein und zieht ihre Kräfte nach Beendigung der Aktionen rasch wieder ab. Nach Abzug der serbischen Sicherheitskräfte kehrt die Bevölkerung meist in die Ortschaften zurück. UNHCR schätzt, daß bisher lediglich etwa 2.000 Flüchtlinge im Freien übernachten müssen. Noch ist keine Massenflucht in die Wälder zu beobachten. Von Flucht, Vertreibung und Zerstörung im Kosovo sind alle dort lebenden Bevölkerungsgruppen gleichermaßen betroffen. Etwa 90 vormals von Serben bewohnte Dörfer sind inzwischen verlassen. Von den einst 14.000 serbisch-stämmigen Kroaten leben nur noch 7.000 im Kosovo. Anders als im Herbst/Frühwinter 1998 droht derzeit keine Versorgungskatastrophe“. Selbst wenn inzwischen bekannt ist, daß Lageberichte des Auswärtigen Amtes bewußt geschönt wurden, um Asylsuchende in Deutschland ablehnen zu können, enthält der Bericht dennoch einige Fakten, die sich mit anderen Quellen decken und glaubwürdig erscheinen.

Hufeisenplan, Massengräber und Opferzahlen

Zur Begründung des Nato-Angriffes wurde u.a. der sogenannte „Hufeisenplan“ herangezogen. Mit seiner Hilfe verwiesen westliche Politiker darauf, daß die Regierung Milosevic bereits lange vor dem Beginn der Bombardierungen am 24.3.99 die systematische Vertreibung der albanischen Kosovaren geplant gehabt hätte und die NATO einem Völkermord hätte zuvorkommen müssen. Wie der Spiegel in seiner Ausgabe 2/2000 berichtete, „wurde der Plan den Deutschen von Sofias Außenministerium zugespielt und stammt aus der Giftküche des bulgarischen Geheimdienstes – die Bulgaren, einst berühmt für die Regenschirm-Attentate ihrer Schlapphüte, bemühten sich während des Kosovo-Krieges besonders um Nähe zur Nato: Sie wollen bald in die Organisation aufgenommen werden“. „11.000 Tote in Massengräbern – Haager Tribunal legt Zahlen aus Kosovo vor“, berichtete die FR am 3.8.99. Einen Tag später korrigierte sich die Frankfurter Rundschau: „Kouchner habe nur eine mögliche Opferzahl genannt, die auf Berichten über Massengräbern und Daten verschiedener Quellen basiere, sagte seine Sprecherin ... Das Tribunal in Den Haag dementierte diese Angaben noch am gleichen Abend und betonte, es habe bislang keine entsprechende Zahl genannt“ (FR, 4.8.99). Nach der vorläufigen Bilanz des UN-Kriegsverbrechertribunals wurden bis November 1999, als die internationalen Gerichtsmediziner-Teams ihre Arbeit vorläufig beendeten, 2108 Leichen an 195 Stellen im Kosovo exhumiert (vgl. taz, 3.12.99). Dabei ist bis heute unklar, welcher Seite die Getöteten angehören – und ob es sich um Opfer der serbischen Polizei und Armee, der UCK oder der Nato handelt. Die Zahl der Todesopfer in der übrigen Bundesrepublik Jugoslawien ist nach wie vor unklar. Eine erste unabhängige Untersuchung der in New York ansässigen Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ nennt nach umfangreichen Vor-Ort-Recherchen zwischen 488 und 527 getötete Zivilisten in Jugoslawien (taz, 8.2.99). In der Münsteraner Universitätszeitung vom Oktober1999 berichtete der im Kosovo eingesetzte deutsche Pathologe Dr. Klaus Teige, „daß er im Gegensatz zu den Meldungen in den Medien im Kosovo keine Massengräber gesehen oder von ihnen gehört hat. `Sämtliche Opfer waren alle einzeln in Plastiksäcken verscharrt worden´“. Nach einer Definition des US-Außenministeriums gilt als Massengrab jede Grabstelle, in der mehr als eine Leiche liegt (vgl. Morgenpost, 18.6.99). Am 3.12.99 erschien die „taz“ mit einer ganzen Seite unter der Überschrift: „Kosovo: Es gibt keine Hinweise auf ein massenhaftes, systematisches Töten von Kosovo Albanern. Das jedenfalls behaupten das US-amerikanische Stratfor-Institut und spanische Pathologen, die im Auftrag des Kriegsverbrechertribunals Gräber untersuchten“. Wie die Bilanz der UN zeigt, erwiesen sich bisher viele geschätzte Opferzahlen der Nato wie auch der Gesellschaft für bedrohte Völker als unrichtig, ebenso die behauptete Existenz von Konzentrationslagern. „Mit den Flüchtlingen wurden politische Spielchen betrieben“ titelte „Die Welt“ bereits am 18.6.99 und ließ den deutschen Arzt Richard Munz, der im mazedonischen Flüchtlingslager Stenkovac für insgesamt 60.000 Flüchtlinge mitverantwortlich war, ausführlich zu Wort kommen: „Ich glaube, dass der Flüchtling an sich für die Journalisten überhaupt nicht wichtig gewesen ist. Die Einseitigkeit diente wohl nur dazu, die deutsche Beteiligung als Nato-Staat irgendwie zu rechtfertigen und zu untermauern“. ...“Ich glaube sicher, dass es Massaker gegeben hat. Ich bezweifle aber, ob man sich einen Gefallen tut, wenn man ganze Dimensionen verschiebt. Man verglich diese Massaker auf eine Weise, die so nicht angemessen ist. Zum Beispiel mit Auschwitz. Das wird man in Zukunft wohl korrigieren müssen. Mit den Flüchtlingen wurden meiner Ansicht nach politische Spielchen betrieben. Im Grunde hat man damit diese Menschen und ihre realen Leiden ein Stück weit entwertet“.

Zeitpunkt der Kriegsentscheidung und Rolle William Walkers

Am 12. Oktober 1998 gab Clintons Sicherheitsberater Berger der Bundesregierung in Bonn 15 Minuten Zeit für eine Zustimmung zum Krieg ohne UN-Mandat. Kurz nach der Zusage Bonns erging der NATO Aktivierungsbefehl „ACTORD“. Es spricht eine Menge dafür, dass damit die grundlegende Entscheidung zum Krieg bereits frühzeitig gefallen war. In einem Interview der Mainzer Rheinzeitung (30.8.99) behauptete Willy Wimmer (CDU), Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE: „Es gibt undementierte Zitate, dass Gerhard Schröder im Oktober zu Joschka Fischer sinngemäß gesagt hat: `Die Amerikaner wollen den Krieg. Wenn Du Außenminister werden willst, musst du das mitmachen´. ... Es gibt auch andere Indizien für diese Ausgangslage: Es gab zuvor NATO-Überlegungen, im Kosovo bis zu 200.000 Mann zu stationieren. Es galt also, den Anlaß zu finden. Das Elend haben wir dann gesehen“. Die Wochenzeitung „Jungle World“ (30.6.99) fragte den gewöhnlich gut informierten Johan Galtung: „Sie haben behauptet, die Entscheidung für den Krieg sei im frühen Herbst des vergangenen Jahres gefallen“, worauf Galtung antwortete: „Man nennt jetzt den August 1998, eine Sitzung des Republican Foreign Policy Committee im amerikanischen Senat. Gerhard Schröder soll es im Oktober erfahren haben. ... Das Republican Committee hat gesagt, man müsse einen Anlaß haben. Und das müsse medial verwertbar sein, sonst ginge das nicht. Also hat man gewartet bis Racak. ... Dazu muß man sich den Lebenslauf Walkers (OSZE-Missionschef, Anm: C.R.) anschauen. Er war als CIA-Mann derjenige, der die `schwarze Arbeit´ machte. Er war eine Woche vor dem Militärputsch 1987 auf Fidschi, er war in El Salvador und Nicaragua, und er war derjenige, der Fakten produziert hat, wodurch man die interventionistische Politik der USA legitimieren konnte“. Wolfgang Petritsch, österreichischer Botschafter in Belgrad, seit Oktober 1998 EU-Sondergesandter für das Kosovo, seit Juli 1999 Hoher Repräsentant der EU für den Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina, nannte Walker „eine personalpolitische Fehlentscheidung“ und meinte in einem Interview („Jungle World, 7.7.99, „Walker war ein Cowboy“): „Vielleicht war Polen als damaliger Vorsitzender der OSZE auch überfordert. Die Amerikaner haben ihnen überall dreingeredet. Das habe ich auch spüren müssen: Als Richard Holbrooke mit dem jugoslawischen Außenminister Jovanovic das Abkommen über die Implementierung der OSZE geschlossen hat, rief er mich erst danach an. Obwohl ich damals schon EU-Sondervermittler war. Dann kam ich mit dem russischen und dem polnischen Botschafter zu ihm, und er hat uns vor vollendete Tatsachen gestellt: Wir Amerikaner stellen den Head of Mission, und die Europäer und die Russen können ja jeweils einen Stellvertreter für die Missionsleitung stellen. Aber man muß auch den Europäern den Vorwurf machen, sich zu wenig engagiert, zuwenig mitgestaltet zu haben. ... Es gibt eben eine Tradition der Amerikaner, Militärs in Zivilkleider zu stecken, das gleiche gilt auch für die Briten“.

OSZE-Mission als „Trojanisches Spionage-Pferd“

Amerikanische und britische Special Forces, als OSZE-Kontrolleure getarnt, haben die OSZE offensichtlich als „Trojanisches Pferd“ benutzt (vgl. Intelligence, 31.4.99). OSZE-Mitarbeiter wurden von US-Vertretern der Mission gebeten, das amerikanische Satellitensystem „Geographic Positioning System“ (GPS) zu benutzen, mit dem man exakte Positionsbestimmungen durchführen kann – zur eigenen Evakuierung wie auch zur Zielmarkierung für Cruise Missiles. Der Schweitzer Geologe und OSZE-Beobachter Pascal Neuffer erklärte: „Wir waren uns von Anfang an darüber im klaren, daß die Informationen, die im Laufe unserer Mission bei den OSZE-Einsätzen gesammelt wurden, die Satellitenbilder der NATO vervollständigen sollten. Wir hatten den sehr scharfen Eindruck, für die Nato zu spionieren“ (in: K. Bittermann/Th. Deichmann (Hg.), Wie Dr. Joseph Fischer lernte, die Bombe zu lieben, Berlin 1999, S. 55).

Willy Wimmer zur OSZE-Mission

Willy Wimmer (CDU), Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, kommt das Verdienst zu, gegen den breiten „Medienstrom“ geschwommen zu sein. Bereits am 12.1.99 sagte er im Deutschlandfunk: „Wir haben in den zurückliegenden Monaten, vielleicht anderthalb Jahren gesehen, daß die Europäische Union mit ihrer Politik der autonomen Maßnahmen gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien erfolgreicher war, als befreundete Staaten das eigentlich haben wollten. Wir wären im März vergangenen Jahres wesentlich weiter-gekommen, auch in Zusammenhang mit einer Lösung die den Albanern im Kosovo entgegenkommt, wenn man die Europäische Union einfach nur gelassen hätte. Aber hier durften bestimmte Ergebnisse offensichtlich nicht erzielt werden, und deswegen ist das auch nichts geworden. Das hängt nicht mit Herrn Milosevic zusammen. Das ist natürlich der böse Bube, auf den man mit dem Finger zeigen kann. Das ersetzt nur keine Politik. ... Möglicherweise – und dafür gibt es hinreichende Nachweise auf dem Balkan – verfolgt man mit der Balkanpolitik ganz andere Ziele. ... Man sagt immer wieder in Europa, die Europäer bringen nichts zustande, und deswegen müssen die Vereinigten Staaten einspringen. Man muß oft den Eindruck haben, daß die Europäer deshalb nichts zustande bringen dürfen, damit die Vereinigten Staaten hier eingreifen können“. Wimmer kritisierte, „die Nato scheine `ja gerade darauf zu warten´, eine militärische Intervention umsetzen zu können. Washington und London wiederum hätten die Kosovo-Guerillatruppe UCK `ostentativ nach vorne geschoben´ und damit `die ganzen europäischen Ansätze zur Streitbeilegung an die Wand geschmissen´“ (SZ, 30.12.98).

Exkurs: Parallelen im Irak- und Jugoslawien-Krieg

Die Parallelen zwischen UNSCOM in Irak und OSZE-Kosovo-Mission, zwischen Richard Butler und William Walker, sind frappierend. Am 16.1.98 schrieb die FAZ zur Tätigkeit der UNSCOM-Mitarbeiter: „Landvermessen im Irak ergibt auch Zielkoordinaten für Marschflugkörper“. In der FAZ vom 8.12.98 stand: „Die militärischen Ziele wurden schon seit langem mit Hilfe von UNSCOM-Mitarbeitern, aber auch Foto-Satelliten ... sowie der U-2-Spionageflugzeuge ausgewählt“. Grundlage der späteren Bombardierung war auch dort das amerikanische Satellitensystem „Geographic Positioning System“ (GPS). Die Tendenz, UN- oder OSZE-Missionen als „trojanische Pferde“ für die Kriegsvorarbeiter der jeweiligen nationalen Regierungen zu instrumentalisieren, dürfte vermutlich auch einer der schwerwiegenden Gründe dafür sein, warum die russische Regierung sich nicht auf die Internationalisierung bei der Suche nach einer Konfliktlösung im Tschetschenien-Krieg, z.B. mittels einer OSZE-Mission, einlassen möchte.

Oberstleutnant Jürgen Rose: Gründe für den Angriff der Nato

Oberstleutnant Jürgen Rose, Mitarbeiter im Luftwaffenamt der Bundeswehr, verfasste am 24.11.99 einen bemerkenswerten Beitrag in der „Berliner Zeitung“, in dem er unter der Überschrift „Warum die Nato angriff“ die Hintergründe des Spannungsverhältnisses zwischen den USA und Europa herausarbeitete: „Die Wirtschaftsmacht Europa dürfte zu einer ernsthaften Herausforderung für die Hegemonialansprüche der Supermacht USA werden. Zudem treibt die EU seit geraumer Zeit unter dem Rubrum der „Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität“ den Aufbau eigenständiger militärischer Kapazitäten voran. Forderungen nach der Gründung einer europäischen Rüstungsagentur werden immer nachdrücklicher erhoben, und gelegentlich werden auch schon Rufe nach einer gemeinsamen europäischen Armee laut. In einer solchen Situation geoökonomischer Konkurrenz gepaart mit der potenziellen Ablösung des Exklusivitätsstatus der Nato, bot und bietet sich für die amerikanische Administration zwingend die Instrumentalisierung der Konfliktlagen im südosteuropäischen Raum als effektive Option an: Der unliebsame Konkurrent, der ein vitales Interesse an der Stabilität seines „Hinterhofes“ haben muss, soll langfristig in dieser Region gebunden werden. Nicht unerhebliche diplomatische, finanzielle und militärische Ressourcen der EU sollen dort absorbiert werden, wo dies für die USA erstens kontrollierbar geschieht und zweitens ihren Interessen nicht direkt zuwiderläuft. Auf längere Sicht gilt es, der europäischen Wirtschaft neue Märkte zu erschließen, die Region für die Integration in die EU vorzubereiten und nicht zuletzt den Migrationsdruck in die hoch entwickelten Regionen Europas abzumildern. Mit dem Interventionskrieg im Kosovo gelang es den USA in hervorragender Weise, die EU intensiv und auf lange Zeit in die Konfliktlagen auf dem Balkan zu verstricken. Indem die USA die Kompetenz für die operationelle Durchführung dieses Krieges reklamierten, schoben sie zugleich den Europäern die Verantwortung für den Wiederaufbau und die zukünftige Entwicklung der Region zu. Im Vergleich zu den damit verbundenen Kosten –Schätzungen schwanken zwischen 35 und 100 Milliarden Dollar– stellen die seitens der USA in diesen Krieg investierten Aufwendungen –man spricht von vier Milliarden Dollar –in der Tat „Peanuts“ dar. (....) Fazit: Der Interventionskrieg der Nato gegen Jugoslawien war mitnichten jener rein humanitäre „Kreuzzug für die Menschenrechte“, als der er der Weltöffentlichkeit verkauft wurde. Er war durchaus von harten realpolitischen Interessenkalkülen determiniert. Letztere wurden allerdings von den beteiligten Akteuren systematisch hinter den Argumentationswolken universeller Moral verschleiert. Es zeigt sich zum wiederholten Male, dass es unter den Bedingungen medialer Omnipräsenz stets die `Schlacht der Lügen´ ist, die einen Krieg ent-scheidend prägt“ (BZ, 24.11.99). Die französische Regierung warf im November 1999 „Washington vor, bei der Auswahl der Ziele und dem Einsatz von modernen Waffen im Kosovo-Krieg die Nato-Partner wiederholt nicht informiert und einen `eigenen Krieg´ neben den Einsätzen der Allianz geführt zu haben“ (FR, 12.11.99). Der ehemalige Berater von Ex-Präsident Carter, Zbigniew Brzezinski, meint in seinem vielbeachteten Buch „Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ (Weinheim/Berlin 1997, S. 92): „Tatsache ist schlicht und einfach, dass Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern“. Wenig schmeichelhaft für Europa ist auch die Aussage von Jesse Helms, Vorsitzender des Außenpolitischen Senatsausschusses des US-Kongresses: „Bei allem Respekt ... Die Europäische Union könnte sich noch nicht einmal aus einer nassen Papiertüte freikämpfen“ (in: Die Zeit, 4.6.98). Da die Nato-Europa-Staaten und die USA sowohl in der Einwohnerzahl (USA: ca. 270 Mio., Nato-Europa ca. 300 Mio.) wie auch in der Wirtschaftskraft (Bruttoinlandsprodukte bei je ca. 8 Billionen US-Dollar) nicht sehr differieren, dürften die beiden letzten Aussagen eher Wunschdenken denn Realität sein. Die europäische Union bräuchte nicht zwangsläufig den derzeit eingeschlagenen Weg zur eigenständigen militärischen Festung nehmen, sondern könnte allein auf Grund ihrer wirtschaftlichen Stärke ein enormes ziviles Potenzial in den internationalen Beziehungen entfalten. Der in den USA sehr bekannte Schriftsteller Gore Vidal sieht Europa vor einer grundlegenden Herausforderung: „Für die Europäer ist jetzt die Zeit gekommen, sich von ihren amerikanischen Herren zu befreien. Es gibt Momente, wo Imperien ihre Energien verlieren und symbolisch werden“ (in: Die Woche, 17.7.98). Ein solcher historischer Moment war möglicherweise der 11./12.6.99, die überraschende Besetzung des Flughafens von Pristina durch 200 russische Soldaten, als der britische General Michael Jackson „dem alliierten Oberbefehlshaber General Wesley Clark entgegnete, er sei nicht bereit den Dritten Weltkrieg durch die Eroberung des Flugplatzes und das Werfen der russischen Truppen zu beginnen. Auch nach Billigung des Plans durch das Pentagon teilte er kurz und bündig mit, seine Ansicht würde sich nur ändern, wenn man bereit sei `ganze Haufen toter Russen in Kauf zu nehmen´. Trotz dieser beharrlichen Befehlsverweigerung hat Jackson sein Kommando immer noch inne, während Clark von der Position des Oberkommandierenden früher als eigentlich geplant angeliftet wurde“, berichtete das internationale Militärmagazin „Barett“ Nr. 4/99, S.18. Für das euro-atlantische Verhältnis bleibt weiterhin maß-gebend, dass die USA mit ihrem ca. 5/8-Anteil an den Militärausgaben aller Nato-Staaten noch auf längere Zeit ein erdrückendes Übergewicht gegenüber den Europäern mit insgesamt zusammen ca. 3/8-Anteil behalten – und militärtechnologisch weiter davonziehen werden. Von den 50 größten Unternehmen weltweit befanden sich 1999 immerhin 33 in den USA, die zusammen 71,8% der Börsenkapitalisierung der Top-50 hielten. Von den 200 größten multinationalen Konzernen weltweit lagen 1998 74 in den USA, in denen 52,7% aller Gewinne der Top-200 erlöst wurden (Angaben nach „Le Monde Diplomatique“, Dez. 1999).

Die außenpolitische US-Doktrin

Roses Grund-Thesen, die er in seiner sehr lesenswerten Studie „Amerika, das Rom der Moderne?“ (hg. In Zusammenarbeit mit der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden in Bonn, Juni ´99) ausführlicher belegt, hat bereits 1993 Alfred Mechtersheimer folgendermaßen beschrieben: „Am 8. März 1992 veröffentlichte die New York Times Auszüge aus einem geheimen Pentagon-Papier, in dem genau das, was Kritiker den USA unterstellt hatten, nun als die amtlichen Ziele der Administration formuliert waren: `Wir müssen versuchen zu verhüten, daß irgendeine feindliche Macht eine Region dominiert, deren Ressourcen – unter gefestigter Kontrolle – ausreichen würden, eine Weltmachtposition zu schaffen´. Die angestrebte neue Weltordnung entpuppte sich als ein nationalistisches Machtkonzept. Das Papier, bei dem es sich um den Entwurf einer „Defense Planing Guidance“ für die Haushaltsjahre 1994-1999 handelte, liest sich wie eine prophylaktische Kriegserklärung gegenüber potentiellen Konkurrenten: `Wir müssen unsere Strategie jetzt darauf konzentrieren, dem Aufstieg jedes möglichen Konkurrenten globaler Dimension zuvorzukommen´. In Tokio und Bonn, wo man sich angesprochen fühlte, hatte diese machtpolitische Offenbarung wie ein Schock gewirkt, was zeigt, dass man auch dort auf die feierlichen Erklärungen von Präsident Bush über die `neue Weltordnung hereingefallen war, obwohl dieser bereits am 2. August 1990 in Aspen (Colorado) – wegen des Beginns der Kuwait-Krise von niemand beachtet – erklärt hatte, dass keine Region der Welt von einer Amerika feindlich gesinnten Macht kontrolliert werden dürfe“ (in: A. Mechtersheimer, Friedensmacht Deutschland, Frankfurt 1993, S. 58f). Der US-Politologe und Kriegsforscher Professor Daniel Kolko meinte am 8. Mai 1999 im „Berliner Tagesspiegel“: „Bei der Entscheidung der Amerikaner, den Krieg zu führen, spielte die spezielle Situation im Kosovo nur eine untergeordnete Rolle. Für die USA ging es darum, militärische Macht zu demonstrieren und ihre  Vormachtstellung in der Nato auszubauen“. Thomas Friedmann, Berater von US-Außenministerin Madeleine Albright, brachte am 28.3.99 in der New York Times die derzeitige US-Politik auf folgenden Punkt: „Damit der Globalismus funktioniert, darf Amerika sich nicht scheuen, als die allmächtige Supermacht aufzutreten, die es ist. Die unsichtbare Hand des Marktes wird nie ohne eine unsichtbare Faust funktionieren. McDonald kann nicht ohne den F-15-Konstrukteur McDonell Douglas florieren. Und die unsichtbare Faust, die dafür sorgt, dass die Welt für Silicon Valley Technologien sicher ist, heißt Heer, Luftwaffe, Marine und Marineinfanterie der USA“ (zit. nach: Kosovo, Jugoslawien, Nato, hg. vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, Köln 1999, S.29f). Für ihre unsichtbare Faust bauen die USA im Kosovo in „ihrem“ Sektor derzeit sehr sichtbar die größte Luftwaffenbasis in Südeuropa.

Die wichtigsten Gründe für den Kosovo-/Jugoslawienkrieg in Kurzform

Nach allen bisher genannten Quellen müssen andere als die von Nato-Seite angegeben Gründe den Ausschlag für die Bombardierungen gegeben haben. Zu diesen dürften mit unterschiedlichem Gewicht stichwortartig folgende gehören: 1. Testlauf der neuen Nato-Doktrin: Erster Militäreinsatz ohne UN-Mandat 2. Durchsetzung des weltweiten Führungsanspruches der Nato unter US-Führung bei gleichzeitiger Ausschaltung von OSZE und UNO 3. Konkurrenz zwischen USA und Europa, Dollar und Euro; Desintegration Europas durch die USA bei gleichzeitiger Erschwerung bzw. Verhinderung der Zusammenarbeit Berlin-Moskau 4. Sicherung der Existenzberechtigung der Nato und Auslastung der Rüstungskapazitäten 5. Testfall für Krieg der US-Luftwaffe bei scharfer Konkurrenz um Haushaltsmittel zwischen Luftwaffe, Heer und Marine 6. Verhinderung neuer Flüchtlinge und deren Kosten in Westeuropa 7. Möglicher Präzedenzfall für künftige Konflikte im Kaukasus 8. „Disziplinierung“ des „Fremdkörpers“ Serbien als letztes mit Rußland und China verbundenes Land in Europa, das sich Globalisierung widersetzt hat 9. Nach Irak-Bombardierung durch Unterstützung der albanischen Muslime Sammeln neuer „Pluspunkte“ in der (ölreichen) arabischen Welt Bei genauerer Analyse sind beim Jugoslawienbombardement 1999 zwei Kriege zu unterscheiden, die nur begrenzt etwas miteinander zu tun hatten und aus sehr unterschiedlichen Motiven geführt wurden: Erstens der Krieg zwischen serbischer und albanischer Seite und zweitens ein sehr komplexer verdeckt geführter Krieg mit unterschiedlichen Teilkoalitionen zwischen den USA, Europa, Russland und China aus geostrategischen Machtüberlegungen. Die chinesische Botschaft sei – laut britischem „Observer“ (16./17.10.99) – von den USA bewußt bombardiert worden, da über das Botschaftsgebäude jugoslawische Armeekommunikationen übertragen worden seien. Historiker werden sich vermutlich irgendwann darüber streiten, ob das größere Verbrechen dieser sich überlagernden Kriege – abgesehen von den jeweiligen Menschenrechtsverletzungen vor Ort – die Nato-Bombardierungen mit ihren furchtbaren Folgen waren oder die aktive Behinderung der OSZE bei einer diplomatischen Lösungssuche vor allem durch die amerikanische Regierung, wobei die OSZE bei Nichtbehinderung möglicherweise die serbisch-albanische Auseinandersetzung ohne Eskalation hätte beilegen können.

Zur Rolle der Bündnis-Grünen und der SPD

Als Bill Clintons Sicherheitsberater Berger am 12.10.98 der zwar gewählten, aber sich noch nicht im Amt befindenden neuen Regierung den „Lackmus-Test“ der Bündnistreue abverlangte, legte er damit einen friedenspolitischen Sprengsatz an Rot-Grün. Für Gerhard Schröder und Joschka Fischer stellte sich die Frage, einen erheblichen Konflikt mit den USA zu riskieren und damit die Koalition möglicherweise noch vor Amtsantritt platzen zu lassen. Erich Schmidt-Eenboom, Leiter des Forschungsinstitutes für Friedenspolitik in Weilheim, der insbesondere auch die Rivalitätskämpfe zwischen deutschen und amerikanischen Geheimdiensten bei der Ausstattung der UCK (vgl. FR, 25.9.98) untersucht hat, meint: „Ein grünes  Parteivolk in diese Hintergründe und die Komplexität der Machtspiele im Kosovokrieg einzuweihen, und dabei in aller Offenheit den Schritt zu einer `normalen´ Partei zu vollziehen, wäre für den Außenminister einem politischen Selbstmord gleichgekommen. ... Rächen könnte sich die Fixierung auf den kategorischen Imperativ eines um jeden Preis Menschlichkeitherbeibombens, wenn die klandestinen Manöver der Beteiligten klarere Konturen bekommen und unterdrückte Fakten in die Öffentlichkeit brechen“ (in: K. Bittermann/T. Deichmann (Hg.), Wie Dr. Joseph Fischer lernte, die Bombe zu lieben, Berlin 1999, S. 112).Ob Gerhard Schröder – konfrontiert mit allen bishergenannten Quellen – immer noch die Ansicht vertreten würde, dass der Einsatz der Bundeswehr geeignet ist, „die `historische Schuld´ Deutschlands auf dem Balkan verblassen zu lassen“ (FR, 24.7.99)? Etwas anders beurteilte Gerhard Schröders SPD-Vorgänger, Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der die deutsche Kriegsbeteiligung für nicht zu rechtfertigen hielt, den ersten Kriegseinsatz nach 1945: „Gegängelt von den USA haben wir das internationale Recht und die Charta der Vereinten Nationen missachtet“ (FR, 3./4.4.99).

Dringend notwendig: Noch Schlimmeres jetzt verhindern!

Die Zerstückelung des von Nato- und Nato-Partnerschaft-für-den-Frieden-Staaten umgebenen letzten „Fremdkörpers“ Bundesrepublik Jugoslawien ist aus Nato-Sicht noch nicht abgeschlossen. Trotz Einführung der D-Mark ist das Kosovo zumindest offiziell immer noch Teil der Bundesrepublik Jugoslawien. Diese Ungeklärtheit macht nach wie vor beiden Seiten Hoffnungen, wenn auch sehr viel geringere in Belgrad. Eine baldige wirkliche Lösung zu finden, ohne neue Gewalteskalationen auszulösen, wäre eine dringend notwendige Aufgabe. Die Einführung der D-Mark weist schon jetzt deutlich auf die staatliche Eigenständigkeit als vorweggenommene Entscheidung hin – kann aber im Sinne einer langfristigen Friedensordnung in der Region nicht als Stabilitätsfaktor angesehen werden. Wenn im Sommer 2000 die Belgrader Regierung von ihrem vertraglich zugesicherten Recht Gebrauch machen wird, serbische Polizisten zum Schutz ihrer Landsleute ins Kosovo zu entsenden, wird dies vermutlich zu neuen Auseinandersetzungen mit der Nato führen. Eine Klärung dieser Frage ist jetzt herbeizuführen, solange noch kein Zeitdruck besteht. Nach der Einführung der D-Mark als zweite Parallelwährung auch in Montenegro am 3.11.99 (vgl. FAZ, 18.1.99) stellt sich akut die Frage nach der Zukunft dieser Republik. Nach einer in „Monitor“ am 22.4.99 gezeigten US-Militärkarte war Montenegro bereits als eigenständiger Staat eingezeichnet. Für den Fall einer Abtrennung Montenegros ist mit einem weiteren Krieg zu rechnen. Alle Anzeichen deuten derzeit auf Sturm. Im Frühjahr 2000 steht der Region möglicherweise ein neuer Waffengang bevor. Die Vojvodina mit ihrer ungarischen Minderheit wird wohl aus Rücksicht auf das neue Nato-Mitglied Ungarn noch etwas länger von einer Abtrennung verschont bleiben.

Ausblick

An das Ende dieses Beitrages möchte ich einige Vorschläge stellen, die im Sinne einer Deeskalation der Region sinnvoll wären, derzeit aber noch kaum angepackt werde. Vor Ort könnten folgende Maßnahmen eingeleitet werden:

1.Wiedergutmachung der angerichteten Schäden (Gerechtigkeit statt Almosen)

2.Unterstützung der Flüchtlinge (z.B. über Diakonisches Werk und Caritas)

3.Psychosoziale Hilfe für Traumatisierte (z.B. wie Medica in Bosnien)

4.Unterstützung von Friedens- und Menschenrechtsgruppen (z.B. des Balkan Peace Teams)

5.Einrichtung von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen (nach südafrikanischem Vorbild)

6.Arbeitsprogramme zur zivilen gesellschaftlichen Wiedereingliederung von Soldaten

7.Aufhebung der Isolation Serbiens (z.B. durch Aufnahme in die OSZE und Aufhebung des Wirtschaftsembargos)

8.Einrichtung einer Balkan-Konferenz (nach KSZE/OSZE-Vorbild)

 

In Deutschland sehe ich Handlungsbedarf auf folgenden Arbeitsfeldern:

1.Aufarbeitung des Krieges und Wahrheitssuche

2.Kritischer Dialog mit Presse und Politik

3.Verurteilung aller Kriegsverbrecher (auf albanischer, serbischer und Nato-Seite)

4.Einrichtung einer unabhängigen Informationsstelle für kirchliche und gewerkschaftliche Entscheidungsträger für künftige Krisen und Kriege

5.Unterstützung präventiver Krisen- und Konfliktmaßnahmen(z.B. durch ZFD-Projekte)

6.Partnerschaften zwischen Kirchen, Gewerkschaften, Vereinen, Städten, Universitäten in Deutschland und in Serbien oder/und Kosovo

7.Erziehung zu Angstfreiheit und Zivilcourage in Familie, Kirche und Schule

8.„Leiden am Wirklichen und Leidenschaft für das Mögliche“ (Definition des Begriffs „Hoffnung“ von Sören Kierkegaard)

 

Helmut Schmidt sagte vor einigen Monaten: „Ich bin besorgt, dass die Welt allenthalben aus den Fugen gerät und dass die politische Klasse nicht willens und fähig ist, dem entgegenzusteuern“ (zit. nach Dieter S. Lutz, Krieg ist das Versagen der Politiker, in: Supplement der Zeitschrift Sozialismus, 5/99). Wenn schon die politische Klasse versagt, bleiben hoffentlich andere Akteure wie z.B. internationale Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften oder Kirchen – unterstützt von der Zivilgesellschaft insgesamt – wachsam beim Gegenlenken.

 

Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim internationalen Versöhnungsbund, deutscher Zweig, 10. Februar 2000

 

 

Chronologie wichtiger Ereignisse im Kosovo-/Jugoslawienkrieg ab März 1998

März 1998: Militäraktionen der serbischen Polizei in der UCK-Hochburg Srbica mit mehreren Dutzend albanischen Toten

März 1998: Protokoll-Unterzeichnung zwischen serbischer Führung und Kosovo-Albanern über die Rückkehr aller Albaner an Schulen und Universitätsgebäude bis Mitte 1998

Juni 1998: UNHCR schätzt 50.000 Flüchtlinge, Androhung einer Nato-Intervention

Juni 1998: Amnesty International beschuldigt nach Kosovo-Besuch auch UCK „übermäßiger Gewaltanwendung“, ca. 40% des Kosovo unter Kontrolle der UCK

Ende Juni-Oktober 1998: Großoffensive serbischer Truppen, Zurückeroberung aller Gebiete, UCK zieht sich nach Albanien zurück, ca. 300.000 vorwiegend albanische Flüchtlinge fliehen nach Albanien, Montenegro, serbische Flüchtlinge nach Serbien

August 1998: UN-Generalsekretär Kofi Annann kritisiert Nato und EU, nichts zur Durchsetzung des Waffenembargos getan zu haben und Mitschuld an der Eskalation zu tragen

12. Oktober 1998: Clintons Sicherheitsberater Berger gibt der Bundesregierung in Bonn 15 Minuten Zeit für eine Zustimmung zum Krieg ohne UN-Mandat. Kurz nach der Zusage Bonns ergeht der NATO Aktivierungsbefehl „ACTORD“

13. Oktober 1998: Holbrooke-Milosevic-Abkommen über die Stationierung von 2000 OSZE-Beobachter; fast alle Flüchtlinge kehren zurück, in ihrem Schatten die UCK

16. Oktober 1998: Bundestag stimmt Nato-Einsatz ohne UN-Mandat zu

November 1998: Die UCK läßt mit militärischen Aktionen auf serbische Familien und Polizeistationen die Situation eskalieren, serbische MUP schlägt brutal zurück

16. Januar 1999: Nach Kämpfen zwischen UCK und serbischen Streitkräften werden 45 Albaner tot aufgefunden, OSZE-Chef Walker spricht von Massaker an Zivilisten

–Untersuchungsbericht bleibt geheim

6.-23. Februar 1999: Rambouillet-Verhandlungen ohne Ergebnis, Serbien lehnt NATO-Truppen in der BR Jugoslawien und Kosovo-Referendum ab

15.-18. März 1999: Paris-Verhandlungen: Kosovo-Albaner unterzeichnen Abkommen, Serben nicht

24. März 1999: Beginn des Nato-Krieges gegen Jugoslawien, Beginn der Gewaltexzesse serbischer Milizen und Polizei, 860.000 Flüchtlinge fliehen in Nachbarstaaten

Anfang Mai 1999: EU-Gipfel in Bonn, Verständigung über „Fischer-Plan“ unter Einbeziehung Rußlands und Rückkehr zur UN-Zuständigkeit

8. Mai 1999: Beschuß der chinesischen Botschaft, 3 Tote chinesische Journalisten

11. Mai 1999: Besuch Schröders in China zur Erreichung der Zustimmung oder Enthaltung Chinas im UN-Sicherheitsrat

3. Juni 1999: Die jugoslawische Führung stimmt dem G7/8-Plan zu

10. Juni 1999: Die Nato beschließt die Einstellung der Luftangriffe

11. Juni 1999: Russische und Nato-Truppen marschieren ins Kosovo ein

11./12. Juni 1999: Nato Oberbefehlshaber Clark gibt des Befehl, 200 russische Soldaten

anzugreifen, die den Flughafen bei Pristina unter ihre Kontrolle gebracht haben. Der britische KFOR-General Jackson verweigert die Ausführung des Befehls mit der Begründung, daß dies nicht den Beginn des Dritten Weltkrieg rechtfertigen würde

August 1999: In den ersten 7 Wochen nach KFOR-Stationierung werden 164.000 Serben nach Angaben des UNH-CR vertrieben, ihre Häuser angezündet und gebrandschatzt. Von geschätzten 120 -150.000 Roma vor dem Krieg werden ca. 60-75.000 bis November 1999 vertrieben, die Häuser ebenfalls zerstört und geplündert.

Herbst/November 1999: Die D-Mark wird als offizielles Währungsmittel im Kosovo, als offizielle Zweitwährung in Montenegro eingeführt.

Hinweise:

Die vollständigen Interviews mit Willy Wimmer, Johan Galtung und Wolfgang Petritsch sowie der Brief von Dieter Lutz an Erhard Eppler und der Text von Jürgen Rose sind gegen Vorab-Zusendung von 3,– DM in Briefmarken erhältlich bei: Clemens Ronnefeldt, Versöhnungsbund-Referat, Dorfstr. 3, 56288 Krastel, Tel. 06762-2962, Fax: 06762-950511,

 

E-mail: BuC.Ronnefeldt@t-online.de,         Homepage: http://www.versoehnungsbund.de

 

Spendenkonto für die Arbeit des Friedensreferates: Versöhnungsbund e.V., Konto-Nr. 400 906 72 bei der Sparkasse Minden-Lübbecke (BLZ 490 501 01), Stichwort: „Friedensreferat“ Dieser Text kann als PDF-Dokument (67KByte, für den Ausdruck mit Adobe Acrobat Reader) geladen werden unter http://www.muenster.de/~cviento/kosovo/auswertung_clemens.pdf

 

Literatur- und Quellenhinweise:

• Joachim Hösler/Norman Paech/Gerhard Stuby, Der gerechte Krieg? Neue NATO-Strategie, Völkerrecht und Westeuropäisierung des Balkans, Donat-Verlag, Bremen 2000.

• Klaus Bittermann/Thomas Deichmann (Hg.), Wie Dr. Joseph Fischer lernte, die Bombe zu lieben. Die Grünen, die SPD, die Nato und der Krieg auf dem Balkan, Edition Tiamat, Berlin 1999.

• Jürgen Elsässer (Hg.), Nie wieder Krieg ohne uns, Hamburg: KVV Konkret 1999

• Hannes Hofbauer (Hg.), Balkan-Krieg. Die Zerstörung Jugoslawiens, Wien 1999.

• Ulrich Albrecht/Paul Schäfer (Hg.), Der Kosovo-Krieg. Fakten, Hintergründe, Alternativen, Papyrossa Verlag, Köln 1999.

• Winfried Wolf, Bombengeschäfte. Zur politischen Ökonomie des Kosovo-Krieges, Konkret Literatur

Verlag, Hamburg 1999.

• U. Cremer/D.S.Lutz (Hg.), Nach dem Krieg ist vor dem Krieg, Hamburg 1999.

• T. Schmid (Hg.), Krieg im Kosovo, Rowohlt-Verlag, Reinbek 1999

• L. Janus/W. Kurth (Hg.), Psychohistorie, Gruppenphantasien und Krieg, Heidelberg, 2000. (Darin besonders interessant: Winfried Kurth, Psychische Hintergründe der deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg)

• Das Manuskript der Sendung „Streitkräfte und Strategien“(mit den Aussagen Brigadegeneral Loquais), NDR 4, vom 22.5.99 ist (kostenlos) zu beziehen bei: NDR-Redaktion Sicherheitspolitik, Rothenbaumchaussee 132-134, 20149 Hamburg, Fax: 040-447602

• Das Manuskript der Sendung „Kritisches Tagebuch, WDR 3, vom 10.11.99 (Das Gerücht als Waffe – Die Rolle der Medien im Kosovo-Krieg) ist (kostenlos)erhältlich bei: WDR 3, Appellhofplatz 1, Postfach 101950, 50600 Köln, Fax: 0221-220-4800.

 

 

 

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